TEXTLANDSCHAFT

Texte über Texte


 

Lettau

&Ich lade gelegentlich Bücher als Gäste ein. „Ich will Bücher von Lettau.“ - „ Ausverkauft“, „Nur im Lesesaal zu lesen“, „Ich habe Gespräche in Miami amüsiert gelesen, aber das Buch war geborgt.“, „Seine frühen Schriften zur Politik fand ich interessant. Aber ich habe das nicht.“... Der Hanserverlag hat „Flucht vor Gästen“ im Handel, einige Bücher stehen in Bibliotheken. Unter anderen „Schwierigkeiten beim Häuserbauen“, „Auftritt Manigs“, „Die Feinde“, „Frühstücksgespräche in Mia­mi“ -

„Flucht vor Gästen“. „Die Geschichten, die hier passieren, stürzen zurück in die verwinkelten Städte oder fangen sich in kleinen, wechselnden Landschaften, in denen sich Abenteuer verstecken.“ Einer läd Gäste ein, serviert Alkohol, nichts zu essen, beobachtet Szenen, geht davon. Jemand ist eingeladen, bevor er dort ist, hört er, daß er nicht kommen soll. Einer läd zu einer Feier ein, bereitet nichts vor. Jemand sieht Gäste vor seinem Anwesen, fährt vorbei, fort. Ein anderer holt sich Fremde als Gäste ins Haus, in der Hoffnung auf Informationen. Eine holt sich Gäste in ein Haus, verwöhnt sie so, daß sie sich durch sich selbst gefangen fühlt, wirft sie raus. Ein Gast wird kritisiert, flieht, wird Gast eines anderen... - „wobei ich zugeben muß, daß ich das erst beobachtet habe, d.h. ich habe es mit der Hand geschrieben und danach, als die Gäste kamen,... gesehen.“

„Auch der Wald bleibt ja größer, in den man nicht eintritt“; Die ersten Seiten machten das Gefühl einer ehrlichen Alt-Männer-Literatur, einer „Indiskretion vor einem gefühllosen Publikum“: „ohne Kraft wie ich bin“ ...“Bald wäre die Welt voller Schauplätze kraftlos erlebter und daher verschobener Freuden?“ ... „Zähne... die schon vor einem halben Jahrhundert angeblich nirgendwo wurzelten“... „Atembeschwerden, Augenschwäche, Stimmungsschwankungen, gegen die ich mit Medizinen vorgehe, die mir Alpträume bereiten“... „Inzwischen arrangiere ich in meinem Zimmer Papiere, Bücher, halbleere Tassen und Gläser in der Weise, daß dort der Anblick eines Zimmers entsteht, in dem gearbeitet wird“...

Aber dann sind Selbstbeschreibungen mittels, zum Teil lapidarer, Beschreibungen der Töchter: „Seither interessiert sie sich feige nur noch für das, was es gibt“... „Was ich an meiner Tochter Jessica am meisten geliebt habe, war, daß sie, erblickte sie vor sich etwas sehr Interessantes, wie von einer plötzlichen Langeweile überkommen ihre ganze Aufmerksamkeit auf eine daneben oder in der Nähe befindliche Sache richtete,“... - indirekte Beschreibungstechnik, die er in die Literatur der Gruppe 47 eingebracht habe - und dann kommt der Satz: „man schreibt, um nicht unterbrochen zu werden“. Kein Gast sagt: „Wie schön, wie ihr dasitzt, mit den Hunden, mit denen ihr... eine ganze Menge erlebt habt“ und läßt sich erzählen, Gäste sagen Urteile, die die Wirklich­keits­wahr­neh­mun­gen des Erzählers verändern, mit „Fistelstimme, die die Hunde erschreckte: kurz die unbegreifliche Veränderung aller hiesigen, früher heiter erlebten Gegenden und Personen ins Schreckliche“. Es macht den Gastgeber aggressiv, „Und ich freute mich auf den Tag, an dem ich, beim Tisch sitzend, hüstelnd, draußen, vorm Fenster, die Hunde, versammelt in Sorge um mein Befinden, mit Aufzeichnung des folgenden Satzes endlich den Gegenangriff eröffnen würde. Dieser Satz würde lauten: In der Welt habe ich folgende Feinde“.

Lettaus Feind wurde „Der tägliche Faschismus“, er sammelte Zeitungsausschnitte, die ihn belegten, seine davor skurril-ironisch oder surrealen erzählten Geschichten, die Anekdoten in Herrn-Keuner-Manier, die absurden Texte über Feindschaften, Militarismus im „Kaltnadel-Radie­rungsstil“ (Raddatz) würden heute zu Festivals Junger Literatur geladen. „Man könnte ihn einen literarischen Henri Rosseau nennen, der durch die Schule von Klee gegangen ist,“ - stand damals in der FAZ.

Ich freute mich, wenn ich ihn traf, scheu, ich könnte ihn verstören. Ich werde ihn nicht vergessen, weil er überraschende Texte schrieb, empfindsam für und gegen andere war, und so sehnsüchtig über Thüringen redete, wie ich es nicht verstehen kann: er suchte nach „den festen Punkten der Erde“ - „in dem ich auf einer über dem Kamin befestigten Karte der Erde die Länder mit weißer Farbe bedeckte, die man sich aus der Welt, so, wie wir sie kennen, wegdenken kann, ohne daß Schaden entstünde: Afrika, Asien, alles südlich von Suhl, so daß schon bald nach Beginn meiner Überlegungen nur noch Thüringen übriggeblieben war“. Ich habe ein Wunschbild: Wald, Bäche, Seen, Thüringer Klöse... und neugierige, tolerante, nette, hilfsbereite Menschen. ´Wird Erinnerung an Thüringen so sein?´

 

 


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