TEXTLANDSCHAFT

Texte über Texte


 

Volker Braun. Wüßte ich nichts als den Namen, wäre ich gegen ihn. Ich mag "braun" nicht; es erinnert an Kacke und die Uniformen von Schlägergruppen. Das Wort "Volk" wurde, wird demagogisch gebraucht. Gesprochen könnte ich Volker, als "folg er!" verstehen. Es erzeugt in mir Abwehr, Widerstand. Das will Volker Braun. "Böhmen am Meer". Ein paar Katastrophen und Böhmen könnte dort liegen. Weil Land absackte, der Meeresspiegel stieg oder Böhmen sich ausdehnen konnte. Böhmen als Insel. Im Hintergrund Schüsse, vereinzelt, als wären Selbstmorde. Ein Mann lud zwei Männer ein, der eine war mit Panzern in sein Land gedrungen, der andere mit Geld. Sie hatten beide mit seiner Frau eine Liebschaft. Es zerstörte in ihm Hoffnungen, weckt Haß. Sein Sohn könnte von jedem von ihnen sein. Der eine der Männer ist aus dem Osten, der andere aus dem Westen. Der eine ist ein Mann, der feststellt, daß er sein Leben darauf reduziert hat, Zeitungen zu lesen, der andere darauf, Ausbeuter zu sein. Beide wollen das ändern: Der aus dem Osten will, daß Tatsachen seine Sehnsüchte, der aus dem Westen will die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Sie sind beide in Strukturen verfangen, der eine kann aus ihnen nicht heraus, der andere will nicht Außenseiter werden. Im Süden schlagen sich die Menschen gegenseitig tot. Der Mann aus Böhmen schießt warnend in die Luft, der aus dem Osten und der aus dem Westen fallen lachend in den Sand. Der aus dem Osten ist gegen die Tochter, wie er gegen Staaten war, die eigene Wege zu gehen versuchten, doch er hofft, daß sie ehrlich lebt und auf eine Welt ohne Waffen. Die Beziehung zwischen ihr, deren Lebensraum begrenzt ist, und einem Mann, von dem sie sich in einen größeren Freiraum holen ließ, scheitert an den Vorurteilen, mit denen sie konfrontiert werden, die Zweifel an ihren Gefühlen wecken. Es ist vom Wind die Rede, Sturm, der diese Welt reinigen könnte, schwarzen Gestalten. Der Böhme erschießt sich. Sein Sohn mag im Streit um eine kaputte Welt nicht mitreden, seine Sprache besteht fast nur noch aus zwei Lautfolgen, die Abwehr oder Neugier, Zustimmung ausdrücken. Er lässt sich tierisch sein. Er folgt dem Mann aus dem Westen. Die Sturmflut kommt. Braun nennt den Theatertext, den er schrieb, der bei Suhrkamp erschien, Fragment, Entwurf, als wolle er Widerspruch, Gegenentwürfe, Fortsetzungen. Ich will, daß der Text auf einer Art Achterbahn inszeniert wird, auf die Menschen gelockt oder gezerrt sind, die nun bewegt werden, sich nähern, von einander gerissen werden, mit dem Kopf nach unten in der Luft hängen, der Erde zurasen... Aber ich hoffe, daß der Text so inszeniert wird, daß eine Lebenslust gezeigt wird, wie sie die Verzweiflung gebären kann, die die Hoffnung nicht lassen will; "...Ich kannte doch etwas Wildes, Regelloses in meinen Regungen, das keine Form annehmen wollte, eine Freiheit, die aus einer festen Tiefe kam, aus einem Massiv, das ich in mir spürte, ich setzte meine Füße darauf, in der Verwirrung, die mich ruhig machte, es gab keine Lösung für mich, aber die Ungewißheit, wie es ausgehen würde, hatte nichts Lähmendes...", sagte Braun. Ich hoffe, es steckt an.

 

 


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