TEXTLANDSCHAFT

Texte über Texte


 

"über dem kaukasus lag dein blauer" ein Roman in Dreigroschenheftaufmachung. Am Anfang des Textes scheint jeder Satz, jede Wortfolge bekannt, als hätten die beiden Autoren jörn luther und frank willmann Dreigroschenhefte stückweis abgeschrieben, in Kleingeschriebenes verändert, Notiertes neu verbunden, für "unds" altdeutsche Zeichen eingesetzt, "Die sehen aus wie die Oberkörper eines Menschen, der aus einer Schale trinken will. Im Text kommen die "fürchterliche übermacht, großartige retter, das blütenweiße nachthemd" vor, "das fiebrige auge schreit", "im weichen sand hallen schritte", die autoren lassen ihre helden von "infiniter konvergenz" und "muschi" sprechen. Immer wieder scheinen Abläufe von Trivialfilmen beschrieben. Es wird keine Spannung von Dreigroschenliteratur, bei deren Lektüre die Handlung interessiert, die Sprache nervt und amüsiert. Die Handlung ist konfus, der Witz des Textes Sprachspiel, "wo beginnt die verschwörung? wo endet die verschwörung?" fragte auch ich, es häufen sich Nonsensätze, "am anfang allen tuns steht das jod", "der schuh ächzte tief & begann zu zappeln". Die Autoren erklären das: "der mensch ist ein traum. den ein närrisches wesen träumt". Auch im Traum, Aufbruch des Unbewußten, scheint der Mensch fast nur Gezeigtes nachzuleben, Klischesätze über Liebe, Kunst, Leben zu sprechen. Das scheint aus Verzweiflung, mit Spaß beschrieben. Reich-Ranicki ist im Text "Karnickelzüchter". Die Autoren beißen nach ihm, sie schrieben mit Großbuchstaben: "Andrea", "Sie liebten sich", "über dem Kaukasus lag dein blauer".

Es wurde von den Autoren nicht sichtbar gemacht, wer welchen Textteil schrieb; die Lektüre von "lirum larum" und "reiner reine" (keule-druck berlin) macht das Gefühl, daß jörn luther, der sich mehr intellektuell, frank willmann, der sich stärker gefühlsmäßig (beide sind gebürtige Weimarer) Klassik-Traditionen Verweigernde ist. Das Buch ist zwei Bücher, deren Enden sich in der Mitte in einer Fotoserie von Spielzeugpanzern auf einer weißen Tischplatte treffen. Beide Bücher haben das gleiche Vorwort, Endsatz: "Gelingt die >Auslösung der Dissonanzen in einem gewissen Charakter< bekommen die Nomaden doch noch ein Gesicht."
frank willmann bündelte für seine Seiten deutsche Wörter in römisch numerierte, doppeltunterstrichene Kapitelüberschriften, einfach unterstrichene Textüberschriften, arbeitete mit Blocksatz. Einzelne Wortfolgen scheinen verständlich, es nährt Sehnsucht, alles zu verstehen. Vielleicht ist das Hauptthema in den Texten Sehnsucht nach Glücksempfinden und Goethe im gegenwärtigen Weimar: "goethe-recycling", Abkürzung: "gr" - - - "auf eigne faust", "papier verpsalmend/ stech ich stich um stich".
jörn luther erzählt auf seinen Seiten über Tindbad den Teefahrer, Jomeo & Rulia, über Dannhäuser und die Wehnuss, über die Sprachverwirrung zu Babel,... lautmalerisch über Jack The Ripper; ein Text klingt ungarisch, es macht Frage, ob das echt ist. Er bemalte Blätter, ließ andere leer - der Leser könnte wie er in "Don Juan (ein konversationsstück)" einzelne Sätze aus Wortwechseln mit Schneidern, Verkäufern, zwischen Theaterbesuchern... übers Wetter, die Familie... notieren, kombinieren, einen eigenwilligen Text schaffen, "...es muessen noch die formalitäten erledigt werden. / haben sie frische eier?...halten sie ganz still./ zum ersten mal in meinem leben sehe ich moskitonetze..." Die Bedienungsanleitung zum Gebrauch seiner Texte: "...in handliche Stücke zerreißen. Diese mittels Fön oder durch Pusten trocknen. Blatt mit Tesafilm rekonstruieren..." könnte sagen, daß er andere zum Grinsen bringen, ernst genommen werden will, wenn er nicht auffordern würde, nach einem Blatt-Teetrinken mit dem Rausreißen der Seiten neu zu beginnen.

"der roman der sechs" ("sex&crime-strory") fasziniert, nervt, beeindruckt wie "über dem kaukasus lag dein blauer". Die Helden haben weibliche Namen. Sie sind klug, körperlich stark, geil, Alkoholikerinnen. Sie kämpfen gegen Weltverschwörungen, wenn sie im Dienst sind. Der Text wurde von sechs Autoren geschrieben, sie arbeiteten Namen von lebenden Personen ein; zwei sind: pfranc göthe vielmann und hanswurst lutter.

 

 


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