Ein Begründer der modernen Frauenemanzipation ein Mann. Oder Schleichwerbung für eine Revolution
Theodor Gottlieb Hippel lebte im 18. Jahrhundert, in Königsberg/Ostpreußen. Zwischen seinen Freunden waren Kant und Hamann.
Er entstammte kleinbürgerlichen Verhältnissen. Wurde pietistisch erzogen. Er war Dichter, schrieb Lustspiele, Gedichte, geistliche Lieder, Romane. Er nannte die Aufgabe des Dichters in Zeiten, in denen Politiker es vernachlässigen: Wahrheiten zu verbreiten, für die Verbesserung der Gesellschaft zu wirken, nicht - zu poetisieren. Er schrieb Freimaurerreden, "über die Ehe", "Gesetz und Staatenwohl", über die Verantwortung des Adels, "über die bürgerliche Verbesserung der Weiber." Er wollte Möglichkeiten, sich selbst bestimmend und für die Gesellschaft wirksam leben zu können: Er wurde Staatsbeamter. Er machte Karriere. Er erwarb, sparte Geld. Heiratete nicht. Er wurde Ordensmitglied, erhielt Amtsadel, erwarb Familienadel. Schrieb anonym.
Hippel vertrat in den ersten beiden Auflagen des Buches "über die Ehe" Rousseausche Gedanken. Er entwarf polare Geschlechterbilder, erklärte sie für Mann und Frau verbindlich, stellte eine untergeordnete Stellung der Frau nicht in Frage. Er verteidigte die sinnliche Liebe gegen puritanische, calvinistische, mystizistische Auffassungen.
Zwischen der zweiten und dritten Auflage waren Ereignisse der französischen Revolution, in der Menschenrechte nur für Männer proklamiert worden waren. Es fiel Hippel auf. Die dritte und vierte Auflage wurde infolge von Einfügungen ein Konglomerat gegensätzlicher Ansichten. Mit der dritten Auflage begann er für die Gleichberechtigung der Frau zu streiten. In der Abhandlung "über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" faßte Hippel seine Ansichten über Geschlechter und Geschlechterbeziehungen zusammen. Hippel übersetzte seine aktuellen Auffassungen in Romane. Einer wurde Bestseller. Er popularisierte Kants Ideen über Vernunft.
Hippels Mannkritik war Staatskritik. Er erkannte die Ventilfunktion der Situation der Frau in einer Unterdrückungsgesellschaft und kritisierte: Untertanen könnten nur Untertanen erziehen.
Er erkannte, daß herrschende Ideen, Ideen der Herrschenden sind, daß Ideen ihren Ursprung in Interessen haben.
Er entwarf das Ideal einer Gesellschaftsordnung, in der jeder geistig und körperlich arbeitet, mitregiert, sich selbst regieren lernt - der Staat stürbe ab.
Er überlegte, wie es zu verwirklichen sei. Er hielt das Auffinden von Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlicher Entwicklung für eine Voraussetzung.
Er erkannte, daß die Unterdrückungsgesellschaft Folge von Verselbständigungen innerhalb historisch notwendig gewesener Arbeitsteilung in Hand- und Kopfarbeiter war. Erkannte, daß Revolutionen auch für die Revolutionäre furchtbar werden, wenn sie nicht an die Stelle aufgehobener Verfassungen eine neue setzen, Zerstörungs- und Aufbauarbeit korrelieren können.
Er hoffte auf einen Zusammenschluß und Disziplinierung aller Freimaurerorden zu einer Art Partei. Ein Reformprogramm sollte erarbeitet werden. Die für gesamtgesellschaftliche Veränderungen notwendige Disziplinierung der Massen sollte die einstweilige Beibehaltung der Ständeordnung gewährleisten; die meisten der Menschen seien unfähig, ihr Handeln auf ein Ideal auszurichten, sie regiere sinnliche Erfahrung. Aufrührer in ihr sollten durch Machtbeteiligung beruhigt werden.
Er bejahte gewaltsame Revolutionen in der Funktion einer Notbremse gegen Entwicklungen in ein unmittelbares Verhängnis.
Hippel nannte die Freiheit aller die Voraussetzung für die Freiheit des einzelnen. Die Frau war die, die am Rechtlosesten war. Erst die Möglichkeit, sich mit Verstand und Freiheit, selbst zu regieren, lasse den Menschen aus dem Tierzustand. Frauenemanzipation wurde ihm ein wichtiges Moment im Prozeß der Emanzipation der Menschheit: Die Versklavung der Hälfte der Menschheit würde enden. Die politische und soziale Gleichberechtigung der Frau würde dem Mann die Möglichkeit nehmen, Demütigungen im Staatsgefüge an ihr abzureagieren. Er müßte sich wehren. Der Wettbewerb mit der Frau würde das Leistungsvermögen des Mannes fordern, fördern. Die Frau würde befähigt, Kinder zu verantwortungsbewußten Staatsbürgern zu erziehen. Die Frau brächte ihr Arbeitsvermögen in die Gesellschaft ein.
Hippel erkannte die Unterdrückung der Frau als Folge der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Sie sei nicht ursprünglich gewesen. Die Stellen der Bibel, die anderes dokumentieren, seien Produkt von Männern. Der Sündenfall hätte den Menschen Verstand gegeben, der von Tieren trennen könne. Die Vorrats- und Haushaltung, im Ursprung Produkt des Nachdenkens und Handelns von Schwangeren und Müttern, hätte menschliche Freiheit erst ermöglicht. Doch in der Folge den Wirkungskreis der Frau eingeschränkt. Ackerbau und Viehzucht seien Erfindungen von Frauen. Der Mann aber hätte, durch Jagd geübt im Waffenhandwerk, die Frau bedroht, von seinem Schutz abhängig gemacht, sich das Hauswesen angeeignet, die Frau hineingeordnet. Hippel verwies auf den sächlichen Artikel vor Weib.
Hippel betonte die Bedeutung der Arbeit: Der Mensch lerne erst durch sie seine Fähigkeiten kennen, entfalten, anwenden. Er hielt die Frau, nach Lehrzeit, für jede Arbeit befähigt. Der Mann fürchte Konkurrenten. Doch das Einbringen von Fähigkeiten des einzelnen in die Gesellschaft, trotz Widerständen, sei Sinn des menschlichen Lebens.
Der Mensch schien Hippel als Menschheit unsterblich. Der Prozeß der Erarbeitung und des Vererbens geistiger, moralischer und materieller Werte gewährleiste Entwicklung. Und rechtfertige Hoffnung auf eine zukünftige Verwirklichung gesellschaftlichen Ideals.
Er forderte in seine Zeit: Politische und soziale Gleichberechtigung der Frau. Die Ausarbeitung des Völkerrechts. Erziehung zu Weltbürgern. Gleichheit aller vor dem Gesetz, Gerichte über Gerichte. Er kritisierte, daß die Schulen- und Erziehungsanstalten nicht zum Denken erzögen. Denkenkönnen sei Voraussetzung für ein staatsbürgerliches Verhalten. Staatsstrukturen entwickelten sich abhängig von der historischen Urteils- und Entscheidungsfähigkeit der Menschen. Der Monarchie folge Aristokratie. Die höchste Entwicklungsform des Staates sei die Demokratie, in ihr herrsche das Recht der Mehrheit, deren Vertreter das von ihr selbstbestimmte Gesetz sei. Doch ein Wahlurteil setze Kenntnisse, kollektive Verständigung voraus. Die Eltern hätten gegen Bildungsmißstände keine Chance: Sie müßten ihre Zeit und Kraft für die leibliche Versorgung der Kinder vergeben. Und hätten sie Möglichkeiten die Kinder mitzuerziehen, entständen in sich zerrissene Menschen.
Wir leben im 20. Jahrhundert. Theodor Gottlieb von Hippel schrieb für die Frau den Satz: Originalität gedeiht nur im Schoß der Freiheit. Er bezahlte die seine mit der Anonymität seiner Schriften, z.T. auch Freunden gegenüber. Es verursachte Mißverständnisse. Er starb vereinsamt.
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