TEXTLANDSCHAFT

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Ingeborg Bachmann

&undine geht

„der dichter macht sich zum seher durch eine langdauernde, unerhörte und wohlüberlegte entgrenzung der sinne. alle formen der liebe und des leidens ...; er durchforsche sich selbst ... unsagbare folter, für die er seinen ganzen glauben braucht, seine ganze übermenschliche kraft ... denn er kommt an im unbekannten! ... er kommt im unbekannten an, und wenn er schließlich, gestörten geistes, seine visionen nicht mehr begreift, so hat er sie doch gesehen! mag er in seinem sprung zu den unerhörten und unnennbaren dingen auch umkommen: es wird neue schreckliche arbeiter geben. sie werden an jenen horizonten beginnen, wo er hinsank.“ (rimbaud) ich glaube nicht, daß ingeborg bachmann sich töten wollte, weil feuer andere menschen gefährden kann.

ingeborg bachmann wurde am 25.6.1926 in klagenfurt geboren, sie starb am 16.10.1973 in rom an den folgen von verbrennungen, die eine ungelöschte zigarette, wohnungsbrand, verursacht hatte. sie hatte ihre kindheit im engen kärntner gailtal verlebt, musik studieren wollen, studierte von 1945-50 philophie in graz, innsbruck, wien. sie promovierte mit einer dissertation über „die kritische aufnahme der existenzphilosophie martin heideg­gers“, hielt sich in paris auf, arbeitete ab 1951 als redakteurin der sendergruppe rot-weiß-rot in wien. 1952 erschien in hans weigels wiener jahrbuch „stimmen der gegenwart“ ihr erster gedichtzyklus „ausfahrt“. ingeborg bachmann las 1952 auf einer tagung der gruppe 47, verursachte mit aichinger und celan einen bruch der poetischen kahlschlag-konzeption. sie erhielt den preis der gruppe 47 vor dem erscheinen ihres ersten lyrikbandes, wurde 1953 freischaffende schriftstellerin, ging 1953 nach italien, lebte in neapel und rom, reiste 1955 in die usa, erhielt 1956 den bremer literaturpreis, übersiedelte 1957 nach münchen, 1959 nach zürich, 1963 nach berlin, lebte in uetikon/schweiz, ging nach rom zurück. sie lebte zwischen fern- und heimweh. 1959/60 hielt sie an der universität frankfurt vorlesungen über „literatur als utopie“. Jahre später verstummte sie als gedichteschreiberin, bestürzt, fähig geworden zu sein, ohne zwänge in sich zu fühlen, über das und jenes gedichte schreiben zu können. nur noch „bei gele­genheit“ entstand ein gedicht.

sie war und blieb lyrikerin in essays, erzählungen, ro­manen. sie schrieb hörspiele, libretti zu opern, übersetzte gedichte von guiseppe ungaretti, einem vertreter der „poesia ermetica“, sprachbildreiche poesie, die sich in prosa nicht auflösen läßt. ingeborg bachmann wurde 1968 mit dem österreichischen staatspreis geehrt. ihn kann nur der erhalten, der sich um ihn bewirbt.

christa wolf hatte sich gefragt „wer war kassandra“ und plötzlich geglaubt, das gedicht „erklär mir liebe“ verstanden zu haben, sie notierte: „‘erklär mir liebe, was ich nicht erklären kann: sollt ich die kurze schauerliche zeit nur mit gedanken umgang haben und allein nichts liebes kennen und nichts liebes tun? muß einer denken? wird er nicht vermißt.’ vermißt - von wem? vermißt wobei? ... kas­sandra. anfangend mit jenen frühen denkenden, sich bildenden, dichtenden, seh ich durch zweieinhalb jahr­tausende, die beeindruckende galerie denkender männer­köpfe. „muß einer denken“ soll vielleicht heißen: muß einer - oder eine? - so denken? so - ausschließend? die liebe, das liebe ausschließend?“ christa wolf begann fragezeichen zu setzen, fragte „wie liest du das?“ sagte „ebenso vieldeutig“ - „beispiel von klarster unbe­stimmt­heit, klarster vieldeutigkeit. so und nicht anders, sagt es, und zugleich - was logisch nicht zu denken ist -: so . anders .“

ingeborg bachmann hatte sich außerstande erklärt, eines ihrer gedichte zu interpretieren, „lieder von einer insel (2) wenn du auferstehst / wenn ich aufersteh / ist kein stein vor dem tor / liegt kein boot auf dem meer // morgen rollen die fässer sonntäglichen wellen entgegen / wir kommen auf gesalbten sohlen zum strand / waschen die trauben und stampfen die ernte zu wein / morgen am strand // wenn du auferstehst / wenn ich aufersteh / hängt der henker am tor / sinkt der hammer ins meer.“ statt einer selbst­interpretation wurde in einem sammelband ein auszug aus ihrer rede zur verleihung des hörspielpreises der kriegsblinden 1959 abgedruckt, die unter dem titel gestanden hatte „die wahrheit ist dem menschen zumutbar“. in ihm sprach sie vom glück des schriftstellers, der fühlt, daß er zu wirken vermag, etwas tröstliches sagen kann vor menschen, die des trostes bedürftig sind. und: „der schriftsteller ... ist mit seinem ganzen wesen auf ein du gerichtet, auf den menschen, dem er seine erfahrung vom menschen zukommen lassen möchte ... alle fühler ausgestreckt, tastet er nach der gestalt der welt, nach den zügen des menschen in dieser zeit. wie wird gefühlt und was gedacht und was gehandelt? welche sind die leidenschaften, die verkümmerungen, die hoffnungen? ... bei allem, was wir tun, denken, fühlen, möchten wir manchmal bis zum äußersten gehen. der wunsch wird in uns wach, die grenzen zu überschreiten, die uns gesetzt sind ... es ist auch mir gewiß, daß wir in der ordnung bleiben müssen, daß es den austritt aus der gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen. innerhalb der grenzen aber haben wir den blick gerichtet auf das vollkommene, das unmögliche, unerreichbare, sei es der liebe, der freiheit oder jeder reinen größe. im widerspiel des unmöglichen mit dem möglichen erweitern wir unsere möglichkeiten. daß wir es erzeugen, dieses spannungs­verhältnis, an dem wir wachsen ... ich glaube, daß dem menschen eine art des stolzes erlaubt ist, der stolz dessen, der in der dunkelhaft der welt nicht aufgibt und nicht aufhört, nach dem rechten zu sehen.“

ein germanist versuchte die gedichtinterpretation, sprach vom schauplatz der passion einer liebe, deckte bezüge zur leidensgeschichte jesus christus auf. die liebenden sind für ihn „lamm und schlächter ... einander das kreuz, an das der eine den andern schlägt, und zugleich das kreuz, das der eine für den andern auf sich genommen hat.“ er erinnerte an die „romantische religion des liebestodes“, in dem sich liebende einander zu erlösen glauben, sagte „nur derjenige wird also auferstehn, der alles begehren, hoffen und glauben fahrenläßt“, sprach von „erotischer dialektik“, tristan und isolde, „erotischer utopie“, „vision eines erotischen jenseits“, kein stein verschlösse das grab, kein fluchtboot sei da, die trauben sind ihm trauben des leidens, der wein wein der freude, der hammer der hammer des quälenden; der henker, der gehängte, werde die liebenden nie mehr quälen. das ist interessant, bedingt staunen. der das gedicht las, fühlt sich aber ent-täuscht, - das unsagbare wurde aus dem gedicht geredet. das eigene unaussprechbare findet keine scherbe spiegel, bis der lesende diese interpretation vergessen hat.

im roman „malina“ streubt sich die ichheldin bachmanns gegen die „unmenschlichen fixierungen, die zeichen, diesen festlegungen, diesem zum ausdruck erstarrten wahn“ sie sagt, befragt über ihr verhältnis zu büchern, „nur einige sätze, einige ausdrücke wachen immer wieder auf im gehirn, melden sich über jahre“.

eine frau hatte versucht, zu den gedichten melodien zu finden. textstellen die ihr im gedächtnis blieben, sind: es könnte viel bedeuten: wir vergehn. - doch daß wir sprechen und uns nicht verstehn zerstört soviel. - die uniform des tages ist die geduld. - und gehen grenzen noch durch jedes wort. wir werden sie vor heimweh überschreiten. - betrunkner abend voll vom blauen licht taumelt ans fenster und begehrt zu singen. - und fliegst durch den nebel zu mir.

ingeborg bachmann hatte einen essay über wittgenstein geschrieben, zitiert: „wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ - „die grenzen meiner sprache bedeuten die grenzen meiner welt“, grenzen, die veränderbar sind, nicht überschreitbar. sie notierte in den frankfurter vorlesungen ein trotzdem, zitierte rene’ char „auf den zusammenbruch aller beweise antwortet der dichter mit einer salve zukunft“, schrieb, daß die poesie scharf von erkenntnis und bitter von sehnsucht sein müsse, um an den schlaf der menschen zu rühren und im gedicht: „daß uns nichts trennt, muß jeder trennung fühlen; in gleicher luft spürt er den gleichen schnitt. nur grüne grenzen und der lüfte grenzen vernarben unter jedem nachtwindschritt. wir aber wollen über grenzen sprechen, und gehn auch grenzen noch durch jedes wort: wir werden sie vor heimweh überschreiten und dann im einklang stehn mit jedem ort .“ doch die nächste strophe beginnt „der schlachttag naht mit hellem messerwirbel“ strophen später fragt sie: „wo ist gesetz, wo ordnung? wo erscheinen uns ganz begreiflich blatt und baum und stein? zugegen sind sie in der schönen sprache“, strophen später sticht der knecht die amsel ans tor. das gedicht begann mit der verszeile „von einem der das fürchten lernen wollte und fortging ...“ endet nach siebzig strophen „zu allem frei, wird sich die hand nicht lösen, die einen fängt vorm gang ins labyrinth.“ die hand klammert sich an:

literatur sei ein mehrtausendjähriger vorstoß gegen die schlechte sprache. ingeborg bachmann stellte ihr ein utopia der sprache gegenüber, die fragmentarisch noch, aber doch in der dichtung sei, sagte „hätten wir das wort, hätten wir sprache, wir bräuchten die waffen nicht.“ würden wir poetischer sprechen, es würde nichts erleichtern. nur: dieser zweifel, daß wir verstanden haben, was der andere sagen wollte und nicht nur, was wir verstanden, könnte aufmerksamer und toleranter stimmen, bis - die hinterfragwürdigen bilder über emblembildung abgenutzt wären.

ingeborg bachmann wollte daran glauben, daß dichter in der welt etwas ändern können, entwarf einen weg: neue werke erziehen zu neuer wahrnehmung, neuem gefühl, neuem bewußtsein. „ich bin das immerzu-ans-sterben-denken... ich bin der großen weltangst kind... wir sind nicht zum bleiben gezwungen... tief im grund verlang ich immer alles restlos zu erzählen, in akkorden auszuwählen, was an klängen mich umspielt...“ sie hatte lebenbleiben und dichtenwollen mit der hoffnung verteidigt, verändern zu können. doch das ich blieb geteilt, in ich und malina, istvan blieb männlich, frau frau, undine ging. „ein wort nur fehlt! wie soll ich mich nennen, / ohne in anderer sprache zu sein.“ verzweiflung, „der vampir im rücken / übt den kinderschritt“, bitte folgte: „deck mir, nacht, die augen / mit dem narrenhut.“ zynismen: „ihr herren gebt mir das schwert in die hand, und jeanne d’arc rettet das vaterland. leute wir bringen das schiff durchs eis, ich halte den kurs, den keiner mehr weiß. kauft anemonen! drei wünsche das bund, die schließen vom hauch eines wunsches den mund. vom hohen trapez im zirkuszelt spring ich durch den feuerreifen der welt, ich gebe mich in die hand meines herrn, und er schickt mir gnädig den abendstern.“ flehen: „mein wort, errette mich!“ sie schrieb „lieder auf der flucht“, die enden: „nur sinken um uns von gestirnen. abglanz und schweigen.“ sie wollte: „doch das lied überm staub danach / wird uns übersteigen.“ - „geh, gedanke, solang ein zum flug klares wort“.

sie notierte später „alles ist wundenschlagen, / und keiner hat keinem verziehn.“ verlor hoffnung, die „erblindet“ aber „im licht“ gekauert hätte, sagte nicht mehr „lös ihr die fessel“, sagte: „das wort / wird doch nur / worte nach sich ziehn“ - „mein teil es soll verloren gehen.“ - „nichts mehr wird kommen“.

„sie gewann dem unbehagen an der epoche und der lebensangst ein erstaunliches maß an musikalität ab“, urteilte einer, ein anderer sprach vom „wohllaut des schrecklichen, und der eleganz selbst der pessimistischen vision.“

eine frau liest inbrünstig: „ich habe zutrauen gefaßt zum verzicht. du weinst, weil ich dich meinen wünschen vorziehe? du wählst ein kurzes los: meine zeit, und ich will die verheerungen aller träume, mit denen du schläfst und hinausreichst aus der welt. für dich habe ich keinen trost. wir werden beisammen liegen, wenn die bewegung der berge geschieht, mit einem steingefühl alterslos, auf dem boden der nachtfurcht und am anfang einer großen ver­störung. einmal nur hatte der mond das nachsehn. ins geäst unseres herzens fiel das einsamere licht der liebe. wie kalt die welt ist und wie rasch die schatten sich auf unsre wurzeln niederlegen!“

 

 


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