Zwei Bücher von Gabriele Stötzer-Kachold: "zügellos" und "grenzen los fremd gehen", das eine erschien bei Aufbau, das andere im Janus-press-Verlag von Gerhard Wolf. Beide enthalten Textteile eines umfangreichen Tagebuchs, Lyrisches, Prosaisches - einen Entwicklungsroman, der über eine Frau erzählt, die Sehnsucht nach einem Vaginalen Orgasmus hat, "erst der raum in uns muß erweitert werden um in den außenraum aktiv eintreten zu können", bereit gemacht wird, hinzunehmen, daß sie ihn nicht erleben kann, ihn erlebt, unsicher wird, ob sie nun auch analen ... will, über Sexuelles zu schweigen beginnt, "mit dem orgasmus wollte ich an eine innere gefühlswelt herankommen, die sich nicht mehr belügen läßt", weil sie es verboten fühlt, ungehemmt enthemmten Sex zu beschreiben, "Pornographie". Sex ist Mittel sich trotz Geldarmut und gewöhnlich unbeschadet zu entspannen, aber auch Ventil für Sehnsucht, selbstbestimmt zu leben, "wenn ich aufhören wollte domestiziert frigid unwissend zu sein mußte ich mich auf einen aussichtslosen kampf einlassen der mich isolierte bloßstellte jeden schutzes entzog", "ich laufe mit der aus mir getretenen empfindsamkeit durch die stadt ich habe augen an meinen händen bekommen ich habe ohren an meinen füßen bekommen", anderes Ventil für angestaute Gefühle: Schreiben, "das schreiben ist wie mein sexueller trieb". "vor lauter sozialität bin ich unsozial geworden". Der, der die Texte von Gabriele Kachold zu lesen beginnt, kann sich nicht einsaugen lassen in eine Fantasiewelt, die den Leser sich selbst vergessen macht, er begibt sich in ein Gespräch. Problem ist, daß Menschen, die Arbeit haben, gewöhnlich zu erschöpft sind, anspruchsvolle Reden über Weltverständnis, Zwischenmenschliches, Sprache anhören oder halten zu können, daß Menschen, die arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger sind, sich keine Bücher kaufen können. Bibliotheken könnten vermitteln.
"erfurter roulette" (kirchheim-verlag) - jemand scheint beständig zu verlieren, die heldin. "jede meiner freundinnen nahm sie auf die sense gegen mich". "aber immer haßte ich kafka". "ich habe mich so oft selbst überwunden daß fast kein selbst mehr übrig ist nur noch überwindung", "ich sehe die sprache als einwickelpapier verwendet wie eine gebrauchsanweisung in die geschicke rein und wieder rauszukommen", "ich löse mich plötzlich in etwas auf das sich nicht mehr kontrolliert", "magische worte sprießen in meinem gehirn sie wachsen in das fleisch ein sie wissen den fluß der seele":... "ich versuche ihre sensibilität zu erkennen warte auf die einstellung daß sie pinkeln damit ich die votze den strahl und ihre scham bei der reinigung sehen kann."...
Einige Sätze wirken rhetorisch: "daß ich meinen glauben an die wirklichkeit wirklich verloren habe". "es ist wie das dorf wo die häuser alle allein herumstehen weil sie ihre eigene geschichte gebären" - weckt Nachdenken, ob es nicht so ist, daß sie eigene Geschichten gebären, weil sie einzeln stehen, "sie sind alle schweigsam und das sprechen kostet schmerz", aber Gabriele Stötzer hat recht, der Reiz in eigenen Gehöften zu wohnen, ist, Freiraum.
Und es gibt Relativierungen des eigenen Schmerzes: "im keller in der scheiße wütend fallen mir die schilderungen über knaste in der türkei ein."
Ein ungewöhnliches Buch.
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