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Eine Frau stand am Meer. Ein Mann sprach sie mit "Madam" an und wollte ihr einen toten Fisch verkaufen. Madam war es nicht gewohnt, rohen Fisch zu essen und schüttelte den Kopf. Die Frau bückte sich und streichelte Sand von einem Schuh, weil er ein Kinderschuh war. Sie hob ihn auf. Er war aus Gummi. Die Öffnung, in die kleine Füße schlüpfen konn­ten, bewegte sich, wenn sie ihre Hand bewegte. Sie er­schrak, weil die Öffnung zu reden begann: "Es war einmal ein kleines Mädchen, das stand auf dem Rummel und sah Karussells an. Es hatte kein Geld, mit einem Karussell fah­ren zu können. Es streunte zum Hafen, setzte sich in ein Boot und ließ sich vom Wasser wiegen. Vor dem Hafenbe­cken waren die Wellen hoch, das Mädchen grübelte, dachte, dass es mit dem Boot ohne Geld Achterbahn fahren könnte, löste den Strick, der es am Ufer festhielt, nahm ein Ruder und lenkte es nach draußen. Es wurde nie wieder gesehen. Seine Mutter suchte. Sie fand nur einen Schuh. Sie lief be­ständig auf und ab und suchte ihr Kind. Sie lief jedem Kind hinterher, das ihm ähnlich sah. Ein Mann sagte, dass Zeit verging und das Kind anders aussehen könnte, sie nahm den Schuh und hielt ihn fremden Kindern an. Wenn er ihnen zu passen schien, wollte sie das Kind mitnehmen, die Kinder kreischten entsetzt auf. Der Mann sagte, dass Zeit verging, ihr Kind größer geworden ist und der Schuh ihm nicht mehr passen würde, sie sah den Schuh an und warf ihn ins Meer. Sie schluchzte. Sie wollte den Schuh wieder, ihr Kind hatte ihn am Fuß getragen, er kam nicht zurück. Der Mann stand neben ihr und sagte, dass das Meer wie ein lebendiges Un­geheuer ist, dass manchmal etwas verschlingt und manch­mal auch wieder ausspuckt. Er zeigte auf eine leere Büchse mit einer fremdartigen Schrift. Sie setzte sich hin und warte­te. Sie dachte, dass ihr Kind an einer anderen Stelle der Welt ausgespuckt worden sein könnte, dass eine reiche Frau es mitnahm und zur Prinzessin gemacht haben könnte. Sie sagte sich, dass sie das Glück nicht stören sollte. Sie stand auf und sagte zu dem Mann, dass sie an Märchen glauben will. Aus den Augen kullerten Tränen." Madam sagte: "Du willst kein glückliches Ende, weil du allein und nutzlos geworden bist. Aber das Mädchen ist von den Wellen ans Ufer geworfen worden. Eine Frau hat es gefun­den, sie war reich, sie hat ihm Geld gegeben und hat es auf den Rummel geschickt, es starrte auf Sitzschüsseln, die Mu­scheln ähnelten, Bilder, die Meereswogen zeigten, und sag­te: ′Das Meer ist salzig wie die Tränen meiner Mutter. Ich will nicht mehr Karussell fahren, ich will zu ihr.′ Sie ging fort und zu ihrer Mutter hin." Eine Möwe kreischte, als lache der Vogel Madam aus.

Im Waldboden steckte neben einem verschimmelten Pilz ein einzelner Stiefel. Ein Waldarbeiter hätte ihn vergessen ha­ben können, als er nach dem Umziehen in ein Auto stieg, aber er lag nicht am Wegrand, sondern zwischen Bäumen, Gebüsch. Madam sah sich ängstlich um, als könnte neben ihr eine Leiche liegen. Sie sagte sich, dass falls eine Leiche im Wald liegt, der Mörder abgehauen sein wird und sie keine Angst haben muss, auch ermordet zu werden und dabei einen Schuh zu verlieren. Der Stiefel war rot und gefüttert wie ein dicker, rot geschminkter Mund. Er sagte spöttisch: "Es war einmal ein Mann, der richtete nach Weihnachten seine Wohnung mit Scheuerlappen, Waschlappen, Handtü­chern, Vorhängen, Gardinen, Teppichen ein und legte sich schlafen, er wachte nach Ostern auf und begann zu arbei­ten. Er füllte den Weihnachtssack. Immer wenn er etwas von Wind und Sturm durchs Dachfenster, das groß und weit ge­öffnet war, gebracht bekam, schob er es in den Sack, des­sen Loch die Haustüröffnung füllte. Es waren Hosen, Ja­cken, Bälle, Puppen, Fahrräder, faustgroße Hubschrauber, Stöckelschuhe... die durchs Dach vor seine Füße fielen. Der Sack war nach ein paar Tagen voll, er hätte sich ausruhen können, aber er hörte die Kinder so gern ′Danke!... Oh, schön!′ sagen, seine Mutter hatte, als er Kind war, fast nie ′Danke!... Oh, schön!′ zu ihm gesagt, er nahm deshalb Scheuerlappen, Waschlappen, Handtücher, Vorhänge, Gar­dinen, Teppiche... und nähte sie an die Öffnung vom Sack. Der angenähte Stoff machte den Sack größer, der größere Sack wurde voll, und wieder vergrößert, so ging das hin. Je­den Heiligabend ging nichts mehr in den Sack. Aller Stoff, der im Haus war, außer dem roten Mantel und der roten Mütze, die der Mann am Körper trug, weil es im Haus, we­gen dem offenen Fenster, in das die Geschenke gefallen waren, sehr kalt geworden war, war verbraucht, der Mann raufte sich den lang- und an den Spitzen weiß gewordenen Bart, nähte den Sack mit den ausgefallenen Barthaaren zu, kletterte in das Fenster im ersten Stock, sah auf den Sack, der so lang geworden war, dass er eine Straße im Schnee gebildet hatte, er kletterte vorsichtig auf ihn herrunter, lief, rannte auf ihm durch Wald, Felder, Dörfer, Städte. Immer wenn er ein Kind traf, bückte er sich und riß ein Loch in den Weg unter ihm, er griff hinein und schenkte ihm etwas aus dem prall gefüllten Sack. Sein Haus lag auf einem hohen Berg, die Dörfer und Städte lagen unten in der Nähe vom Fluss, so dass alles, was im Sack war, wie auf einer Rutsch­bahn nach unten drängte, der Boden unter dem Weihnachts­mann blieb straff gefüllt, so oft er auch hinein griff.
Madam sagte: "Ich wollte letztens ein Loch in den Fluss gra­ben, um den Grund zu sehen, meine Tochter hatte behaup­tet, es gäbe dort goldgelbe Schlammblümchen, ich schaufel­te beständig mit einem Eimer Wasser aus dem Fluß, aber ich sah immer wieder nur dunkles Wasser."
"Pst", sagte der Wind.
Der Stiefel: "Wenn der Mann im roten Mantel, mit roter Müt­ze alle Weihnachtsgeschenke an alle Kinder, die er finden konnte, verteilt hat, - er sucht heftig nach ihnen, damit er keins vergisst - ist er sehr müde. Er ließ deshalb den löchrig gewordenen Sack liegen, Autos zerfuhren ihn, Stiefel zerris­sen ihn, Vögel nahmen sich im Frühjahr Fasern für den Nestbau. Aber er ist von einem Jungen ermahnt worden, dass das Verschwendung ist, er hat deshalb den Sack zer­schnitten, in den Regen gehalten, der ihn sauber wusch, er hat den Sack zwischen Klettergerüste auf einem Spielplatz gespannt, Kinder klettern in ihm und gucken aus den Lö­chern. Der Sack scheint ein vielgesichtiges, nett grinsendes Ungeheuer, ich habe das fotografiert. Nun hörte ich, der Weihnachtsmann wurde von einem anderen Kind ermahnt, in seinen Riesensack eine Vielzahl Reißverschlüsse ein­zunähen, damit er den Sack öffnen, verschließen, wiederver­wenden kann. Der Weihnachtsmann grübelt nun, was er mit der Zeit, die er fürs Nähen des Sackes verbraucht hatte, tun könnte, er könnte mittels Scheuerlappen, Waschlappen, Handtüchern, Vorhängen, Gardinen, Teppichen den Sack noch größer nähen, er könnte Lumpen sammeln, damit er keine neuen Scheuerlappen, Waschlappen, Handtücher, Vorhänge, Gardinen, Teppiche kaufen muß, die Lumpen an den Sack nähen, ihn vergrößern, - aber was, wenn bis zum 24. Dezember nicht mehr Dinge als sonst durch das offene Fenster im Dach fallen? Der Weihnachtsmann würde, wenn er aus dem ersten Stock kletterte, um aus dem Haus zu kön­nen -denn in der Türöffnung ist das Loch vom Sack- hart auf ein leer gebliebenes Sackstück fallen, der Weg unter seinen Füßen wäre flach und vom Schnee zugeweht, er könnte nicht pünktlich zu den Kindern kommen. Der Weihnachts­mann wollte pünktlich sein, er war zu hastig aus dem Fens­ter gesprungen, abgerutscht, gestürzt, lief los, ein Fuß schwoll, der Druck des Stiefels tat so weh, dass er ihn ab­streifen musste, liegen ließ. Er brauchte beide Hände, um den Sack zu schleppen, der prall gefüllt war. Er hätte den Stiefel auf dem Heimweg gesucht, aber ein fremder Mann pflegte seinen Fuß, eine fremde Frau schenkte ihm neue Stiefel. Er war müde, zog sie an und ging rasch nach Hause." Madam hörte die Geschichte beruhigt an.

Der Mann, den Madam geheiratet hatte, hatte von seinem Großvater, der Fallschirmspringer gewesen war, klebrige Schuhe geerbt. Er konnte mit ihnen fast senkrechte Wege laufen, jede der Sohlen klebte so lange fest, bis der andere aufgesetzte Schuh festklebte, dann löste er sich, der Mann konnte einen Schritt weitergehen. Sie konnte nicht hinterher. Sie wollte auch Schuhe, mit denen sie in die Höhe gehen und doch Festes unter den Füßen fühlen konnte, es gab kei­ne zu kaufen. Sie schnitt in die Sohle der klebrigen Schuhe, um sie zu teilen und auf ihre Schuhe zu kleben. Das Messer drang ein, ließ sich nicht weiter schieben, nicht zurück zie­hen, sie zerriss die Sohlen, der Schreck verwandelte sie, sie machte ihren Mann besoffen und sagte am Morgen, als er kotzte und stöhnte, "Du warst so besoffen, dass du sogar deine Schuhe, in den Ofen geworfen hast." Er sah sie un­gläubig an, suchte nach den Schuhen, fingerte in der Asche des Heizkessels, fand eine Öse für Schnürsenkel und sagte: "Es muss so gewesen sein. Ich habe geträumt, du bist ein Hase, der Angst vor mir hat." Madam schämte sich und stellte sich mit dem Gesicht zur Wand Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, "Ich hahahaha", stotterte sie und schwieg. Er verstand nicht, dass sie nicht mit ihm redete, nur immer sagte: "Ich hahahaha" und schwieg. Er ging sieben Tage später im Morgengrauen fort. Madam wollte ihm hinterher, sie fertigte Abdrücke von seinen Schuhspuren, die sie in der Wohnung als Staubspuren finden konnte. Aber die Abdrücke der Spuren der Schuhe mit den klebrigen Schuhen nutzten ihr nichts, weil die Schuhe verbrannt waren, die Spuren der Ersatzschuhe führten in alle Richtungen. Madam hatte sie in einem großen Kaufhaus aus einem Berg Schuhe gezogen, über denen ein Schild ′Sonderangebot′ hing. Viele Männer liefen auf gleichem Profil. Sie konnte seine Spuren nicht finden. Sie weinte. Sie nahm ihre eigenen Schuhe, schnitt einige Kerben in die Sohle, um sich finden zu können, falls sie sich eines morgens davon gelaufen sein würde. Sie war arm und hatte die Schuhe vom Ramschtisch.

Madam sah von einer Brücke auf Schienen, kreischte leise, beruhigte sich: Falls sich eine Frau auf die Schienen gelegt hatte, um sich töten zu lassen, Menschen die Reste weg­bringen mussten, würden sie nicht die Schuhe abstreifen, liegen lassen. ′Eine Frau hatte sie abgestreift, hingeworfen, damit Menschen die Schuhe sehen, und an die Menschen denken, die sie lieben, ängstlich, ob sie traurig und lebens­müde sein könnten′

Madam war über Eis gelaufen. Unter dem Eis war Erde, plötzlich Wasser. Sie brach ein. Sie hatte ihre Schuhe noch nie so schwer empfunden. Sie musste mit den Händen ins Wasser greifen, um sie raus zu ziehen. Als sie ein Auto sah, schlug sie die Scheibe ein, um die Tür öffnen, sich hineinset­zen zu können, sie schloss das Anlasserkabel kurz, ließ den Motor laufen, drehte die Heizung an. Sie fror so sehr, dass sie das Auto nicht hätte lenken können. Ihr Kopf sank zur Seite, sie sah- "

Eine Frau hatte sich nach einem Mann gesehnt, es war kei­ner gekommen, sie erbte Geld, es kamen Männer zu ihr, sie sagten, dass sie sie lieben. Die Frau sah in den Spiegel, sie sah aus wie früher. Sie hatte die Kleider angezogen, die an­dere aussortiert hatten, sie hatte sich nicht entscheiden können, welche Kleider sie sich kaufen will, sie hatte die Kleider an, die andere aussortiert hatten, sie sah aus wie frü­her. Sie wollte wissen, ob sie geliebt ist, kaufte sich rote Schuhe mit einer silbernen Schnalle, jeder Mann, der zu ihr kam, sah auf ihre Füße. "Du hast neue Schuhe", sagte er. Sie ging zum See und warf die Schuhe hinein. Sie fuhr zur Hauptstadt, sie suchte einen Kostümladen, sie ging zu ei­nem Maskenbildner, kehrte in die Kleinstadt zurück, hauste als Mann in einem Hotel. Sie stand am Tresen der Kneipe und hörte den Menschen zu. Die Schuhe waren gefunden worden, sie nicht. Sie hörte, dass sie ertrunken sein muss, "Tragisch! Sie hatte gerade Geld geerbt." Ein Mann, der sie, wie er gesagt hatte, liebte, reiste sofort ab, kam nicht wieder. Ein anderer Mann soff. "Warum säufst du?" fragte sie. "Sie ist tot."
"Wer?"
"Sie."
"Hast du Sie geliebt?" Er nickte. Die Frau wollte sich zu ihm beugen. Der Wirt lachte, "Du hast schon gesoffen, bevor sie das Geld geerbt hatte. Du weißt immer einen Grund, warum du säufst." Sie zuckte zurück...

Eine stark geschminkte Frau schob ihr ein Glas zu, sagte: "Ich liebe dich."
Die Frau fragte: "Woher willst du das wissen?"
"Weil mein Herz klopft, ich habe dich schon mehrmals gese­hen."
"Ich habe kein Geld."
"Ich bezahle die Rechnung."
"Ich bin in Wirklichkeit eine Frau."
Die fremde Frau kicherte, "Ich war ganz durcheinander, ich hatte mich bisher noch nie in einen Mann verliebt. Ich bin in Wirklichkeit nämlich ein Mann."
"Warum siehst du aus wie eine Frau?"
"Weil ich Geld geerbt habe."
"Du willst testen, ob dich Frauen nur wegen des Geldes lie­ben?"
"Ja."
"Aber du hast es mir nun gesagt."
"Ja."
"Ich brauche dein Geld nicht."
Mann und Frau tanzten miteinander, küssten einander, gin­gen zusammen in ein Bett, die Frau zog am Morgen die Frauenkleider an, der Mann die Männerkleider, sie legten die Erbschaften zusammen, sahen das viele Geld an und ki­cherten.

Madam fieberte, sie sah, hörte -

Eine Gräfin stöhnte: "Schon wieder eine Einladung zum Ball. Die Gespräche langweilen mich. Sie tanzen wie Marionetten. Wenn ich in der Mechanik bleiben und keine Fehler machen will, bin ich so verkrampft, dass jede Anmut weg ist, auch meine Schönheit, ich könnte gar keinen Mann finden", sie sah zu ihrer Dienerin, "Wir haben denselben Vater. Du siehst mir ein wenig ähnlich. Du bist es gewöhnt, zu tun, was ande­re wollen. Du wirst reden, wie sie es wollen, du wirst tanzen, wie sie es wollen. Du musst stumm sein, nur Hüsteln, auf deinen Hals zeigen. Es wird keiner merken, dass du nicht französisch sprechen kannst. Sie werden froh sein, dass sie reden können und nicht gestört werden."
"Der König hat die Gräfin eingeladen. Ich bin eine Dienerin."
"Eben."
Die Gräfin gab ihrer Halbschwester ihre Kleider, sagte: "Wenn du mich auf dem Ball nicht ordentlich vertrittst, lasse ich dich auspeitschen." "Sie leben auf größerem Fuß. Ihre Schuhe passen mir nicht."
Die Gräfin ließ Schuhe holen, die sie als Mädchen getragen hatte, sie hatten goldene Spitzen und Perlen in den Schnü­ren. Die Dienstmagd zog die Schuhe an, ging brav ins Schloss. Sie ging scheu, es machte sie leichtfüßig. Sie konn­te nicht französisch sprechen, sie lächelte die Menschen ängstlich an. Der Prinz stand zwischen Menschen, die sich theatralisch bewegten, laut redeten, er sah die Dienerin der Gräfin neugierig, an. Er holte sie zum Tanz. Sie hatte noch nie Walzer getanzt, sie wurde vor Angst wie Wasser, der Prinz schien Wind, der sie bewegte. "Wer bist du?" flüsterte er. Sie wollte nicht lügen, sie durfte nicht die Wahrheit sa­gen, sie schwieg. Als der Ball zu Ende war, rannte sie da­von. Der Prinz sah ihr hinterher.
Die Gräfin fragte: "Haben sie mich vermisst?"
Die Dienerin: "Nein."
Die Gräfin schlug ihr ins Gesicht.
Aber als die Gräfin wieder zum Ball geladen wurde, reichte sie der Dienerin die Karte, sagte: "Geh hin!" Der Dienerin schoss das Blut in den Kopf, ihr wurde heiß, schwindelig, sie sagte: "Ich will nicht."
"Du musst!"
"Ich kann nicht."
"Du musst!"
Die Dienerin ging hin. Der Prinz ließ zwei Gräfinnen stehen, kam auf sie zu, tanzte mit ihr. Als es Mitternacht wurde, sich der Ball auflöste, sie weg rannte, lief der Prinz hinterher. Sie schlüpfte aus den Schuhen, um schneller laufen zu können. Der Prinz stolperte über die Schuhe, fiel hin, fluchte, nahm die Schuhe mit.

Als die Gräfin wieder zum Ball geladen war, weigerte die Dienerin sich, ins Königsschloss zu gehen. Die Gräfin droh­te, sie so auspeitschen zu lassen, dass ihr die Haut vom Fleisch hängen würde. Sie ließ aus dem Stall eine Peitsche bringen. Die Dienerin sah hin, zog ihren Kittel aus, die Klei­der der Gräfin an, lief in den Wald, in ihm knackste es und rauschte, sie zitterte vor Angst, ging im Morgengrauen ins Haus zurück. Der Prinz aber war nervös. Er dachte an die Frau, mit der er getanzt hatte, als wären sie zwei Flügel eines Vogels, er hatte nur ihre Schuhe. Er besuchte die Adeligen seines Landes, plauderte mit ihnen über Politik und sagte: "Wer eine Frau im Haus hat, deren Füße in diesen Schuh gehören, soll zum Königshaus gehören. Ich will die Frau heiraten." Die Adeligen sahen den Prinzen und die Schuhe unsicher an, grübelten, ob es ein Scherz sei, schleppten ihre Töchter zu ihm, manche waren noch Kinder. Er hielt ihnen den Schuh an und schüttelte den Kopf. Er kam ins Haus der Gräfin. Die Gräfin erkannte ihre Schuhe. Sie sagte: "Ich muss dringend -" Sie ging nicht aufs Klo, sondern zu ihrer Dienerin, reichte ihr ein Beil, "Hacke mir die große Zehe ab!"
Die Dienerin sah sie entsetzt an, "Ich kann das nicht!"
"Du musst!"
"Warum?"
"Ich will ihn heiraten."
"Wen?"
"Den Prinzen."
"Aber Sie kennen ihn doch nicht."
"Kennst du ihn?"
"Ja."
Die Gräfin schlug der Dienerin ins Gesicht, die Nase schwoll, blutete, "Ich wäre die Königin."
"Wenn Sie ihn nicht lieben -"
"Liebst du ihn?"
"Ja."
Die Gräfin schlug der Dienerin ins Gesicht, die Lippe riss auf, "Ich werde neben ihm Liebhaber haben. Du wirst Schweinemagd, damit du den richtigen Umgang hast!" Sie sah zu ihren Zehen. "Denke, dass es ein Hahnenkopf ist. Wenn du nicht sofort zuschlägst, rufe ich die Polizei und zei­ge an, dass du die Einladungskarten abgefangen hast, um ins Schloss zu gelangen, sie werden dem Volk ein Beispiel zeigen wollen und dich aufhängen." Die Dienerin nahm das Beil und schlug zu. Die Gräfin schrie auf, sah in das geschlagene, verquollene, angstverzerrte Gesicht der Dienerin, kicherte und sagte: "Lasse dir vom Prinzen die Schuh geben!"
Die Dienerin ging zum Prinzen, sie trug Kittel, Kopftuch, den Kopf tief gesenkt, aber sein Herz schlug plötzlich so heftig, so dass er zu ihr trat, ihr den Kopf hob, fragte: "Du bist das? Was wird hier gespielt?" Die Gräfin trat ins Zimmer: "Sie hat mich verstümmelt!" Und zeigte auf ihre Füße, "Damit sie blu­ten, anschwellen und nicht in die Schuhe passen, die ich zum Ball trug. Meine Mutter schenkte sie mir, sie kann es bezeugen."
Die Dienerin sagte: "Ich will so nicht mehr leben", und reichte dem Prinzen das Beil, "Töte mich, dann werde ich ein Wölk­chen und darf bei dir sein."
Der Prinz sagte: "Was wird hier gespielt? Du bist die Gräfin, ich habe mit dir getanzt. Dass da ist deine Dienerin. Tauscht die Kleider!"
Er war der Thronfolger, die Gräfin musste ihm gehorchen. "Ich will sie nicht als Dienerin", sagte ihre Halbschwester.
"Dann jage sie davon!"
"Sie hat sich die Füße zerstört."
"Ich werde sie in den Turm einer Festung sperren. Die Sol­daten werden ihr Essen bringen, sie muss nicht mehr lau­fen."
"Sie ist meine Schwester", sagte die Dienerin.
"Sie ist meine Dienerin", sagte die Gräfin. Sie wollte kein Mit­leid, humpelte aus dem Zimmer, ging in den Saal, setzte sich an den schwarzen Flügel, ihre Finger, Hände schlugen auf die Tasten, "Es klingt schön", sagte die Dienerin, der Prinz sagte: "Es klingt wild", stieg auf sein Pferd, zog die jun­ge Frau zu sich in den Sattel und ritt mit ihr davon.

Der Motor tuckerte, bis der Treibstoff zuende war, ver­stummte. Es heißt, das im Erfrieren angenehme Träume sind, Madam aber sah:

Ein Soldat hatte einen Soldaten erschossen, der hatte ge­röchelt, ihn angesehen, auf die Stiefel an seinen Füßen ge­zeigt, "Bruder!" gesagt. Der Soldat zog ihm die Stiefel aus und dachte, dass er sie dem Bruder des Toten bringen muss. Er überlegte, wie er den Bruder eines Toten finden könnte, von dem er nur wusste, dass er Soldat war. Er hatte kein Foto, er kaufte sich ein Computerprogramm, mit dem er Kinn, Nase, Augen verändern konnte, er veränderte sie, bis das Bild im Computer dem Toten ähnlich sah. Er druckte es aus. Er ging als Tourist in ein ihm fremdes Land, sah jeden Mann und jeden Jungen an. Er zeigte das Bild. Er wurde verhaftet. Er sagte, dass er den Bruder eines Toten sucht, weil er ihm die Stiefel des Toten bringen muss, es war seine letzte Bitte. Der Polizist sagte: "Die stinken ja noch. Lasse das Bild und die Stiefel hier, wir suchen den Bruder." Der Mann schüttelte den Kopf. "In Wirklichkeit bist du ein Spion", sagte der Polizist und schlug ihm ins Gesicht. Sein Vorge­setzter aber sagte: "Die, die im Krieg waren, sind oft verrückt geworden. Lasse ihn gehen!"

Ein Mann sagte: "Ja. Ich bin sein Bruder!" Er log, er war bar­fuß, er brauchte Schuhe. Der Mann war unschlüssig, ob nicht jeder Mensch der Bruder eines andern ist, und er die Stiefel dem geben sollte, der sie brauchte. Er sah einen Jun­gen, der dem Toten ähnlich schien. Der Mann sah zwischen Zeichnung und Jungen hin und her. "Hast du einen Bruder?" fragte er. Der Junge lief weg. Der Mann folgte ihm, trat in ein Haus und fragte die Mutter des Jungen: "Hatte er einen Bru­der?" Die Frau verstand seine Sprache nicht. Er zeigte die Stiefel. Die Frau tastete sie ab, roch an ihnen, begann zu weinen. Der Mann nahm ihr die Stiefel aus der Hand und gab sie dem Jungen. Der Junge zog sie an, sie gingen ihm bis zum Hintern. Der Junge marschierte durch die Hütte und salutierte militärisch. Der Mann fragte mit Hilfe von Händen und Singsang nach einem Dolmetscher. Ein alter Mann, der nur ein Bein hatte, kam. Der Mann sagte zu ihm: "Verstehst du mich?"
"Nur die Sprache."
"Sag dem Jungen: Soldat schlecht. Krieg schlecht. Er kann mit den Schuhen dahin gehen, wo kein Krieg ist."
Der Krüppel übersetzte, sagte: "Der Junge sagt: Dann töten die Bösen auch meine Mutter."
"Ich war im Krieg ein Böser. Ich habe im Krieg deinen Vater getötet. Er hätte sonst mich getötet. Und wäre ein Böser ge­worden. Aber Innen war ich gut. Man muss mit den Bösen reden."
"Glaubst du das?"
"Ja."
"Wirst du mit den Bösen reden?"
"Ja."
"Aber die Bösen schießen dich tot, bevor du reden kannst."
"Aber sie haben Fernseher, sie hören Radio, sie lesen Zei­tung. Ich kann mit ihnen reden, ich werde Journalist."
Der Mann hockte sich hin, fühlte sich wie ein kleiner Junge, der an Märchen glauben will, sagte: "Es wird gut enden."
"Glaubst du das?"
"Ja."
"Soll ich dir helfen?"
"Ja."
"Okay", sagte der Junge und hielt ihm die Hand hin.
"Was willst du tun?"
"Ich weiß es noch nicht, ich bin noch ein Kind."
Der Mann nickte, dankte dem Dolmetscher und ging.

Der Mann, der Soldat gewesen war, einen Soldaten er­schossen hatte, war alt geworden, als er im Fernsehen ein Bild sah. Es zeigte einen Mann, er war schick angezogen, nur die Schuhe hatten Flicken. "Das sind seine Schuhe", flüsterte der alte Mann. Der Junge war Politiker geworden. "Bist du ein Guter?" flüsterte der Mann. Der Präsident schien zu nicken. Der Präsident lächelte in die Kamera, der Mann lächelte zum Fernseher. Sie lächelten einander an.

Madam sagte zu dem Stiefel, der vor ihrem Füßen zu liegen schien: "Du bist nicht am Fuß eines Präsidenten! Du steckst im Matsch." "Die Wahrheit ist", sagte der Stiefel: "Eine Kugel hatte ihm den Kopf zerrissen, seine Hände haben sich noch bewegt, als wollte er etwas sagen, niemand hat ihn verstanden. Mein Soldat hat nichts mehr gesagt."
"Du bist nur ein Stiefel", sagte Madam.
"Ich habe nur einen Wunsch. Ich will noch einmal an einem Fuß sein."
Madam sah ihn entsetzt an, "Haben sie den Soldaten begra­ben?"
"Sie haben ihn geholt."
"Wer?"
"Hunde."
"Sein Fuß -"
"Die Maden haben ihn gefressen."
"Ich ziehe dich nicht an!"
"Ich habe den Krieg erlebt, ich habe nur noch einen Wunsch."
"Ich soll dich anziehen."
"Ja."
Madam hob ihn mit zwei Fingern auf, roch an ihm. Er stank nach fauliger Erde, "Ich reinige dich", sagte sie. Sie ging zum Fluss, spülte ihn aus. Sie wollte den Fuß in den Stiefel ste­cken, aber der Fuß zuckte angeekelt zurück.
"Ich habe nur diesen Wunsch", sagte der Stiefel. Er klang wie einer, der bald sterben wird.
"Ich reinige dich gründlich", sagte Madam, zündete ein Feuer an, hielt den Stiefel über den Rauch. "Du tust mir weh", sag­te der Stiefel, "Wenn ich gereinigt bin, ziehst du mich dann an?"
"Kurz."
"Ja."
"Ja."
Der Stiefel verformte sich in der Hitze, röchelte.
Madam dachte: "Ich käme mit dem Fuß nicht mehr rein. Nur mit der Hand." Sie wollte die Hand in den Schuh stecken, aber die Hand zuckte angeekelt zurück.
Der Schuh fiel in die Flammen, Madam ließ ihn brennen, Asche werden, strich sich die Asche am Morgen über die Haut, "Bist du nun zufrieden, Stinkstiefel?" Die Asche blieb kalt und schwieg.

"Das war mein Stiefel!" kreischte Madam. "Das war nur ein Traum", sagte sie, "Oder ist das der Traum?" Sie lag in ei­nem Krankenzimmer. Neben ihr lag ein Mädchen, es hatte die Augen geschlossen. "Was ist mit ihr?" fragte Madam. "Ihre Kerle haben Ausländer verhauen, die haben zurück ge­hauen, sie ist gestolpert, gestürzt. Etwas in ihrem Kopf ist zerbrochen." Madam bewegte Hand, Fuß, Bauch, fühlte, dass sie gerettet worden war, sagte: "Ich will Gutes tun", beugte sich zu dem Mädchen und erzählte:

"Ein kleiner Mann fuhr gern Zug, er hatte wenig Geld. Er hat­te gesehen, dass Schaffner Skinhads in Springerstiefeln nicht kontrollierten. Er kaufte sich gebrauchte, setzte sich ins letzte Abteil, hielt die Schuhe nach draußen. Kein Schaffner kam. Skinhads mit Springerstiefeln kamen, schlugen ihm auf die Schulter, ′Heil Hitler!′ Der kleine Mann dachte, dass er auch ′Heil Hitler′ sagen kann, weil einer der geheilt werden muss, krank sein muss. Die Männer stanken nach Alkohol. Er sah Messer in den Stiefelschäften. Einer bückte sich, fragte: ′Warum gibt es Menschen mit krummen Nasen?′
′Sie sind keikeine Menschen′, sagte der kleine Mann, ′Sie sind ververkleidete Geier, sie laulauern, wann wir schwa-ach werden, um uns das Fleieisch von den KnoKnochen zu hackhacken.′
′Das hast du gut gesagt′, sagte der Glatzkopf, band sich die Schnürsenkel fester und zog das Messer aus dem Stiefel­schaft.
′Warum gibt es Menschen mit brauner Haut?′
Der kleine Mann sagte: ′Sie hahaben nicht gewußt, wie man das mit dem Saamen macht, die Frau hahat ihn in den Mund gegekriegt, er ist in den Darm gegekommen, er ist zu einem KiKind gewachsen, aber er hat sich braun gefärbt.′
′Das hast du gut gesagt′, sagte der Glatzkopf, schälte mit dem Messer einen Apfel, schnitt ihn in Stücke, gab jedem ein Teil, ′Wir müssen gesund bleiben, damit die Welt gesund werden kann.′
′Ich muss pingpinkeln′, sagte der kleine Mann.
′Das ist gesund′, sagte der Glatzkopf und ließ ihn gehen.

Der kleine Mann blieb bis zur Ankunft des Zuges im Klo. Wenn jemand klinkte, dachte er, es könnte der Schaffner oder einer der Glatzköpfe sein, er hatte vor beiden Angst, Tränen liefen über sein Gesicht. Sein Vater hatte eine Ha­kennase, seine Frau braune Haut. Er sah sich im Spiegel angeekelt an, zischte: ′Feige! Dreckig! Und Gemein!′ Er dachte, dass er nicht zu seinem Vater und nicht zu seiner Frau zurückkehren kann. Er stieg, als der Zug hielt, aus, lief zu einer Brücke, lehnte sich an die Brüstung und sah in die Tiefe. ′Ich habe Springerstiefel an′, dachte er. Rechts von ihm stand ein Mann mit einer Hakennase, links von ihm ein Mann mit brauner Haut. ′Sie werden mich zur Strafe töten′, dachte der kleine Mann, ′Ich töte mich selbst.′
′Sie müssen wegweggehn′ , sagte der kleine Mann zu dem Mann mit Hakennase und dem Mann mit brauner Haut, ′sonst sagen sie, dass ihr mich getötötet habt und dass ihr bestraft werwerden müsst, ich aber will freiwillig sterben.′
′Ich will auch sterben′, sagte der Mann mit der Hakennase, ′Es sind so viele Menschen, die sagen, dass ich böse bin, weil ich eine Hakennase wie eine Hexe habe, ich denke, sie können sich nicht alle irren.′
′Sie sagen, ich dumm, nutzlos wie blubbernder Schlamm, ich denken, dass das ein Witz ist und lachen, weil der Schlamm auf Feldern gut, sehr gut, sie haben mich angese­hen, als sei ich ein Idiot", sagte der Mann mit brauner Haut, "Ich will auch sterben. Aber warum willst du sterben? Deine Schuhe sagen, dass du kämpfen willst.′
′Iich hahabe gesagt′, sagte der kleine Mann zu dem schwar­zen Mann, ′dass deine Haut von der Scheiße deiner Mutter braubraun ist′, er sagte zum anderen: ′und dass du deine spitze, krumme Nase benutzt, um anderen die Augen auszu­hahacken, so dass sie die Wahrheit nicht mehr sehen kön­nen.′
Der Mann mit Hakennase griff den kleinen Mann mit Sprin­gerstiefeln fest am rechten Arm, der Mann mit der braunen Haut fest am linken. Der Mann mit der Hakennase sagte: ′Ich bin nicht böse, denn ich rette einen wie dich!′ Der Mann mit der braunen Haut sagte: ′Ich nicht dumm, nutzlos, ich retten dich. Und du nicht böse, nutzlos, weil du uns geretten hast. Wir gehen zusammen einen saufen.′ ′Ich mumuß aber zuerst meiner Frau sagen, dass ich heute später komme.′ Sie suchten in ihren Taschen nach einer Te­lefonkarte, die nicht leer war und eine Telefonzelle."

Madam glaubte, dass der Atem des Mädchens ruhiger ging.
Es schlug am nächsten Tag die Augen auf, "Erzähle mir eine Geschichte", sagte es, "Aber vielleicht kenne ich schon alle."

"Ein Mädchen kaufte sich Stiefel, die Mutter sagte: ′Das sind Hurenstiefel. Du gibst sie sofort zurück oder kommst nicht mehr ins Haus.′ Das Mädchen ließ die Stiefel an und ging in die Wüste. Es wurde heiß. Es zog die Schuhe aus und hielt sie gegen die Sonne, so dass es im Schatten sitzen konnte. Ein Mann kam mit einem Kamel des Weges, das Mädchen fragte: ′Hast du Wasser für mich?′
Der Mann sagte: ′Ich brauche eine Frau.′
′Du bist alt und hässlich.′
′Ich habe Wasser.′
′Gib mir zuerst das Wasser′, sagte das Mädchen. Er gab ihr eine handvoll und sagte: ′Den Rest kriegst du, wenn du mei­ne Frau gewesen bist.′ Das Mädchen weinte, leckte die Trä­nen auf, sie waren Wasser, es schmeckte salzig. ′Wasser!′ bettelte das Mädchen und wurde seine Frau, bis er weiter zog. Es spuckte dem fremden Mann hinterher, obwohl in der Spucke Wasser ist, zog die Stiefel an und ging nach Hause.

Das Mädchen sagte zur Mutter: ′Wenn du mich nicht zu Hause sein lässt, sage ich der Polizei, dass du mich wegge­jagt hast, damit ich eine Hure werden muss.′ Sie zeigte auf einen Blutfleck auf ihrem Kleid. Die Mutter weinte und schwieg. Wenn das Mädchen in seinen Stiefeln auf die Stra­ße ging, guckten die Leute und eine alte Frau sagte: ′Das sind Hurenschuhe′, aber wenn das Mädchen den Wasser­hahn öffnete, lief Wasser, sie musste keinen Mann küssen, den es nicht wollte, weil es Durst hatte und seine Spucke zum Trinken brauchte.

Das Mädchen sah einen Jungen, er trug eine dunkle Brille. ′Solche Brillen tragen Zuhälter′, sagte eine Frau zu einer an­deren, so laut, dass jeder im Laden es hören konnte. Das Mädchen fragte den Jungen leise: ′Bist du ein Zuhälter?′ Der Junge fragte leise: ′Bist du eine Hure?′ Sie kicherten, küssten sich, liebten sich, heirateten und kriegten Kinder. Die Stiefel bekamen Löcher, ein Bügel der Brille brach ab. ′
Legt sie uns mit ins Grab!′ sagten beide."
"Was willst du damit sagen?" fragte das Mädchen. "Ich weiß nicht", sagte Madam, "Ich habe nur eine Geschich­te erzählt."
"Meine Schuhe sind keine Hurenstiefel. Sie sind modern."
"Ich weiß", sagte Madam.

...

Madam dachte, dass sie eine Zeitlang auf dem Kopf gehen müsste, um die Schuhe zu schonen.

Die Menschen können den Menschen auf den Straßen nicht ins Gesicht sehen, weil am Boden Hundescheiße sein kann, Hundebesitzer müssen Hundesteuern bezahlen. Für das Geld hätte die Stadt als Gegenleistung Hundeklos bauen müssen, sie kassierte nur das Geld. Die Menschen sehen zum Boden, um nicht in Scheißhaufen zu treten, sie müssen an den Schuhen erkennen, wem sie begegnen.

Madam lief über den Marktplatz und sah die Schnabelschu­he eines Geschichtenerzählers. Warf jemand eine Münze in seinen Hut, begann er zu erzählen, er stoppte mitten in ei­nem Satz und wartete, bis die nächste Münze fiel. Er war, um sich ernähren zu können, eine Maschine geworden. Ne­ben ihm war der Tisch eines Trödlers, am Tischbein stand ein einzelner Stiefel. "Wer kauft einen einzelnen Stiefel?" Der Händler sagte: "Man kauft auf dem Trödelmarkt das Ende von Geschichten."
"Ist er sehr alt?"
"Ja."
Madam setzte sich neben ihn, um dem Leder, das knarrte, als sie es bewegte, zuzuhören.

"Es waren einmal drei Brüder, sie lebten in einer Stadt. Die Brüder waren Kinder und arbeiteten nicht gern, der Vater sagte: ′Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen′, die Mutter brachte ihnen heimlich Brot, Milch, Wurst und Schokolade, der Vater wunderte sich, dass die Jungen faul blieben, fröh­lich waren, er lauerte ihr auf und jagte die Jungen in die Welt, ′Dort sollt ihr lernen, dass ihr arbeiten müsst.′ Die Mut­ter lief ihren Kindern hinterher, bis sie sie auf einem Markt­platz aus den Augen verloren hatte, sie kehrte zu ihrem Mann zurück, um nicht allein zu sein. Der jüngste ihrer Söh­ne trug hochgebundene Stiefel, trat derb auf, der mittlere Schnabelschuhe mit Glöckchen, er lief tänzelnd, der älteste lief barfuß und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

Zeit verging. Die Mutter war alt geworden, sie hörte das Knarren der Tür nicht, keine Schritte, sie sah zwischen Nadel und Stoff Schu­he, fühlte ihr Herz aufsteigen und sagte mit einem Klos im Hals: ′Mein Jüngster.′ Es war aber der mittlere Sohn.

Sie waren zu dritt losgelaufen, springend, kichernd, grölend. Die Menschen gab ihnen nichts zu essen, nichts zu arbeiten, sie schlossen die Türen und Fensterläden, als könnten die Jungen heimlich eine Räuberbande sein. Wenn die Jungen an Türen und Fensterläden klopften, um Hilfe baten, sagten sie:
′Wir brauchen die Essenreste für die Schweine.′
′Wir sind Schweine.′
′Schweine werden geschlachtet.′
′Wir können arbeiten.′
′Die Diebe nennen Stehlen Arbeit.′
′Wir sind keine Diebe.′
′Ihr streunt rum.′
′Gebt uns eine Hütte!′

Die Jungen waren ratlos. Sie jagten Vögeln, Mäusen hinter­her, sie fingen eine Katze, die schnurrte, der Älteste sagte: ′Wir haben Hunger′, er beschloss, sie zu schlachten, legte die Finger um ihren Hals, der Jüngste sagte: ′Lasse mich das tun!′ nahm das Tier und warf es über eine Mauer. Der dritte der Jungen sprang ihr hinterher, jagte, schlug sich das Knie auf, fing eine andere Katze, streichelte sie, bis sie schnurrte und sagte: ′Wir gründen einen Zirkus. Ich tanze. Du bist mein Kind. Er ist der Vater. Wir spielen, wie es ist. Dann müssen die Leute lachen.′
′Ich weiß nichts zum Lachen.′
′Der Ehemann hat seine Frau mit dem Löffel verhauen, weil sie nicht in den Topf sondern zu einem jungen Mann gese­hen hat, der Löffel ist abgebrochen, der Mann konnte mit dem Stiel in der Suppe rühren, aber nichts mehr raus löffeln. Er ist so dünn und kraftlos geworden, dass ihn die Frau mit ihrem Liebsten als Kissen benutzt hat. Der Liebste hat ihr einen Löffel geschenkt, sie haben zusammen die Suppe ge­gessen. Ich habe gesehen, dass die Leute darüber lachten.′
′Das ist Schwachsinn.′ ′Der Ehemann ist davon gekrochen und hat den Leuten den Hut hingehalten. Sie haben Geld rein getan.′
′Wir haben keinen Hut.′
′Ich werde Geldschlucker spielen. Sie legen mir das Geld in den Mund, ich schlucke es, wir müssen nur warten und es aus der Scheiße pulen.′
′Ie!′
′Ich nehme statt einem Hut meinen Schuh.′
′Ie!′
Der Älteste lief davon und kam mit einem Topf, ′Sie werfen Geld hinein! Das ist dann die Suppe für mich armen betroge­nen Ehemann.′ ′Der Topf hat aber ein Loch.′

Die Jungen zogen über die Dörfer, spielten Ehemann, Ehe­frau, Geliebter. Die Leute warfen Geld in den Topf. Wenn sie ins Loch trafen, verschwand das Geld im Ärmel, ′Ich bin ein Zauberer′, sagte der Älteste. ′Hokuspokusfidebus! Seht! Der Geliebte meiner Frau ist ein Säugling. Seht, wie er in ihren Armen liegt und greint, weil ihm der Bauch vom zu vielen Fressen weh tut. Ich bin der Vater. Die Welt ist gut.′ Die Menschen kicherten, einige schrien: ′Mehr!′

Ein Mann sah ihrem Spiel zu, er sagte zu dem, der die Frau gespielt hatte, ′Ich will, dass du mit mir kommst.′
′Ich bin drei. Das sind meine Brüder.′
′Ich will nur dich.′
′Wir sind drei.′
′Es wird Winter und kalt.′ Der Mann schien reich. Die Brüder tuschelten. Sie beschlos­sen, dass er mit ihm geht, sie würden ihm folgen, in seiner Nähe sein, er würde ihnen helfen. Zu ihrem Entsetzen zog der Mann ihren Bruder in eine Kutsche, winkte dem Kut­scher, die Kutsche raste davon.

′Ich will mich umziehen′, sag­te der Junge.
′Du gefällst mir in Kleidern.′
Der Mann brachte den Jungen auf ein Schloss, sperrte ihn in ein Zimmer, das mit rotem Samt tapeziert war, zimmerhohe Spiegel hatte. Fenster spiegelten sich in ihnen. Der Junge sah aus dem Fenster, von dem es kalt zog, die Wand unter ihm war hoch und glatt. ′Habe keine Angst′, sagte der Mann und streichelte den Jungen, wie es seine Mutter getan hatte. Er fasste den Jungen dort an, wo die Hand des Jungen nachts hingeglitten war. Er machte den Jungen zu seiner Frau. Sie erhielt Schmuck, Kleider, Essen, sie wurde zwi­schen Menschen geführt, Cousine und Geliebte genannt, sie musste nichts tun als faulenzen. ′Faulsein ist schön′, sagte sie, lag auf dem Sofa und sah sich in den Spiegeln an. Sie alterte. Eines Tages kam der Mann mit einem kleinen Jungen. ′Schick ihn weg!′ sagte sie.
′Du bist alt geworden′, sagte der Mann.
′Gehe mit mir noch ein einziges Mal aus′, sagte die Frau, die ein kleiner Junge gewesen war, ′danach verschwinde ich aus deinem Leben.′ Der Mann nickte, ging mit ihr zwischen die Menschen. Sie stellte sich auf einen Stuhl und sagte: ′Ich bin die Geliebte dieses Mannes.′ Die Menschen dachten: ′Das wissen wir.′ Sie zog sich aus, die Menschen sahen einen Mann und kreischten. Sie raffte die Sachen und lief davon.

′Faulenzen war eine harte Arbeit. Ich habe mich gerächt′, dachte sie, fror, zog sich die Kleider an, band den Rock zu einer Hose, griff sich zwischen die Beine und sagte: ′Ich bin ein Mann.′ Er traf eine Bäuerin, ′Gefällt dir das Kleid?′
′Ja′, sagte die Bäuerin.
′Willst du es haben?′
Die Frau sah ihn entsetzt an.
′Willst du?′
′Ich sündige nicht. Ich habe einen Mann und Kinder.′
′Ich will nur Männerkleider. Hosen, Hemd, Schuhe. Kannst du mir das besorgen?′
′Das ist Seide.′
′Ich nehme Leinen.′
Die Frau nickte, brachte ihm Sachen, die Flicken hatten, nahm das Kleid und die Stöckelschuhe.
′Wirst du das anziehen? fragte er.
Ich will mich einmal drin gesehen haben′, sagte sie.
′Kleider machen Leute′, sagte er, ′Ich bin nun ein Mann′, er küsste die Frau auf die Schulter und lief davon. In leinenen Hosen, in derben Schuhen.

Seine Mutter dachte, er hätte die Jahre, die er weg gewesen war, beim Bauern gearbeitet. Sie streichelte seine Hände, ′Wie weich sie geblieben sind.′
′Ich hacke dir Holz!′ Er ging in den Keller, legte Holz und hackte, das Holz splitterte, ein Splitter traf ihn am Ohr. ′Es ist der Mann, der mich verletzt hat′, dachte er und hackte, bis alles Holz gehackt war.
Die Mutter strickte, sah zwischen den Stricknadeln Schuhe, fühlte ihr Herz aufsteigen und sagte mit einem Klos im Hals: ′Tag, mein Ältester′, aber es war der jüngste Sohn.

Er war mit dem ältesten, nachdem sie den mittleren Bruder, an einen Mann mit Kutsche verloren hatten, weiter gezogen.
′Nicht so schnell!′ jammerte der ältere, die Sohlen von den Schuhen sind zerschlissen. Der jüngere fragte: ′Warum hast du nicht Vaters Schuhe genommen?′
′Es sind Vaters Schuhe.′
′Ich gebe dir einen.′
′Sie sind mir zu klein geworden. Sie hätte mir neue kaufen können. Sie sagte: Wer weiß wir groß du noch wirst - und gib mir die ausgelatschten vom Vater. Er kaufte sich neue.′
′Ich reiße dir einen Schuh auf.′
′Wir müssten humpeln.′
′Aber wir wären gleich schnell.′
Der Älteste lachte, küsste seinen jüngeren Bruder, behaupte­te: ′Ich will keine Schuhe, ich will die Freiheit an den Füßen spüren, auch wenn ich in ihr nur langsam gehen kann. Geh voran. Nach Süden. Wenn du etwas Gutes gefunden hast, kannst du auf mich warten. Ich werde auch nach Süden ge­hen.′
′Wirst du?′
′Ja.′
′Nur langsamer?′
′Nur langsamer.′
′Meinst du das ernst?′ ′Ja.′
′Wenn ich etwas Gutes gefunden habe, halte ich es fest und warte ich auf dich.′

Der jüngere Bruder rannte davon. Er kam auf einen Markt­platz, er sah Brot, Käse, Äpfel. Er hatte kein Geld. Er ging durch den Ort und hinaus. Am Wegrand stand ein Apfelbaum. Er pflückte die Äpfel, legte sie auf einen Berg und wartete. Ein Bauer kam, packte ihn am Kragen und schleppte ihn zur Polizei. Der Junge zappelte, aber der Kra­gen riss nicht.
′Du hast Äpfel gestohlen!′ sagte der Polizist.
′Ich habe Hunger, mein Bruder hat auch Hunger, die Äpfel hingen am Baum, ich habe wie ein Vogel auf dem Feld ge­pickt!′
′Vögel werden abgeschossen. Du hast Glück, du bist ein Mensch. Du kommst in ein Arbeitshaus.′

Sie schoren ihm die Haare ab, steckten ihn in einen Kittel, nahmen ihm die Schuhe, gaben ihm Holzschlappen, brachten ihn in ein großes Haus, es hatte Bet­ten, Tische, Stühle. Er musste Matten flechten, die Fäden schnitten ihm ins Fleisch. Er sah die Sonne durch ein Fenster an der Decke. Nachts hörte er Menschen im Schlaf schreien, stöhnen, er weinte.

Ein Wärter sagte, dass er zum Direktor kommen soll. Der Mann fragte ihn, ob er gelernt habe, dass er nicht stehlen darf, fürs Essen und das Dach über dem Kopf arbeiten muss. Der Junge nickte. ′Ich lasse dich raus!′ sagte der Mann, ′Aber du musst dir draußen Arbeit suchen. Wenn sie dich wieder herbringen, darf ich dich nie wieder raus lassen.′ Der Junge nickte, erhielt seine Sachen zurück, die Hose und die Jacke waren kurz geworden, die Schuhe waren klein, er schnitt Löcher in sie und lief durch ein knarrendes Tor. Er jauchzte. ′Pst′, sagte ein Mann, ′Du brauchst Arbeit. Ich be­sorge dir Arbeit, wenn du mir ein Drittel vom Lohn gibst.′ Er ging weiter. ′Pst′, sagte ein Mann, ′Du brauchst Arbeit. Ich besorge dir Arbeit, wenn du mir die Hälfte vom Lohn gibst.′ Er ging weiter. ′Pst′, sagte ein Mann, ′Du brauchst Arbeit. Ich besorge dir Arbeit, wenn du mir drei Viertel vom Lohn gibst.′ Der Junge sah einen Polizisten, fragte ihn: ′Muss ich zurück ins Arbeitshaus, wenn ich keine Arbeit finde?′
′Wer essen will, muss arbeiten. Im Arbeitshaus gibt es immer Ar­beit′, sagte der Polizist. Der Junge lief zum Tor des Arbeits­hauses zurück, sagte zum ersten Mann: ′Ich gebe dir ein Viertel vom Lohn, wenn du mir hier draußen′, er atmete tief durch, ′Arbeit besorgst.′ Der Mann sagte: ′Die Hälfte!′
Der Junge sah zu den Mauern des Arbeitshauses, in Richtung des Polizisten und nickte. Der Mann brachte ihn zu einem Bauern. Der Bauer ließ ihn arbeiten, er zog vom Lohn Siebenachtel für Miete und Essen ab.
′Ich habe Schulden′, sagte der Junge.
′Ich bezahle deine Schulden′, sagte der Bauer, ′Dann schul­dest du sie mir und kannst sie in Ruhe abarbeiten.′

Der Bauer gab dem Arbeitsvermittler jeden Monat die Hälfte des Lohns des Jungen. Dreiachtel des Lohns schrieb er dem Jungen als Schulden an und sag­te: ′Wer Schulden nicht bezahlt, muss ins Arbeitshaus. Aber ich lasse sie dich in Ruhe abarbeiten.′ Der Junge arbeitete, aber die Schulden wuchsen, er grübelte, ob er nicht vernünf­tig denken kann oder ob er in einem Tollhaus ist. Er wurde ein Mann, er lief jeden Sonntag, wenn er einige Stunden nicht arbeiten musste, vom Bauern weg, aber sobald er einen Menschen sah, dachte er, dass es ein Polizist sein könnte, der ihn ins Arbeitshaus zurückbringen würde, sobald er er­fahren würde, dass er Schulden hat. Er könnte den Polizisten belügen, aber dann hätte er nicht nur Schulden, sondern auch gelogen. Der Polizist könnte ihn ins Gefängnis stecken. Er ging zum Bauern zurück. Er musste arbeiten wie im Ar­beitshaus, aber er sah über sich den Himmel und unter sich Erde, aus der Gras wuchs.

Als der Bauer gestorben war, sagte der Bruder des Bauern: ′Ich habe den Hof geerbt. Und deine Schulden. Du musst sie abarbeiten. Du wirst auch sonntags arbeiten müssen, um sie abarbeiten zu können. Und weniger essen. Damit du nicht weglaufen kannst, -′ Der neue Bauer nahm die ausgetrete­nen Schuhe des Knechtes und stellte ihm Holzschuhe hin. Aber der Knecht rannte barfuß davon. Seine Füße schwol­len, sein Gesicht schwoll, Atemnot färbte die Haut blau, wenn er Menschen sah, lachte er vor Angst, sie könnten ihn ins Arbeitshaus bringen, ′Da ist ein Clown!′ sagten die Men­schen und winkten ihm zu. Er kam nach Hause. Sein Vater hatte sich tot gearbeitet. Seine Mutter legte seinen Kopf in ihren Schoß und streichelte ihn. ′Ich habe - ganz sicher - Schulden bei dir′, sagte er.
′Ich bin so glückselig, dass du wieder bei mir bist′, sagte die Mutter, ′dass ich dir das nie abbezahlen kann.′
′Ich bin roh′, sagte sein mittlerer Bruder. ′dass du nicht sagst, dass ich dir etwas schulde. Wir hatten gesagt, dass ich mit dem reichen Mann mitgehe und euch helfe. Ich konnte euch nicht helfen.′

Die Mutter sah auf ihre Hände in ihrem Schoß, die Knie, Die­len. Als sich ein Schuh ins Bild schob, spürte sie, daß ihr zweitgeborener Sohn gekommen war. An den Schuhen hät­te sie ihn nicht erkannt.

Er war barfuß geworden und langsamer gelaufen. Die erste Schneeflocke fiel. Er sah eine Scheune, dachte, dass er wie ein Tier Winterschlaf halten sollte, kroch ins Heu, schlief ein, wachte auf und war hungrig. Er blieb liegen und kam in einen Dämmerzustand. Ab und zu kroch er nach draußen, um ein wenig Schnee in den Mund zu nehmen, er fror, kroch zurück, grub sich ins Heu, kaute Stroh. Einmal, als er das Scheunentor ein wenig öffnete, um Schnee zu greifen, wur­de das Tor aufgerissen, vor ihm standen Soldaten.
Ein Soldat sagte: ′Der ist groß.′
Ein anderer: ′Der ist schwach.′
′Wir werden ihn aufpäppeln.′
′Er ist ein Idiot.′
′Er ist kein Idiot, er hat im Stroh gelegen und nichts geges­sen. Wir nehmen ihn mit, wir päppeln ihn auf. Er wird ein gu­ter Soldat.′
′Was ist das?′ Der Junge versuchte, zu fliehen.
′Stehenbleiben! Oder ich schieße! schrie einer der Soldaten. Der Junge dachte, dass er stehen bleiben muss, wenn er nicht wie ein Tier erschossen werden will.
′Du bist ein großer Mensch′, sagten sie und klopften ihm auf die Schulter.

Sie gaben ihm zu essen. Als er stark gewor­den war, lief er weg. Sie jagten ihn, ′Stehenbleiben! Oder ich schieße!′ ′Ich scheiße′, dachte er und blieb stehen, um nicht erschossen zu werden. Sie brachten ihn zurück in die Kaserne, Soldaten stellten sich Schulter an Schulter in zwei Reihen, Gesichter zueinander, er musste zwischen ihnen laufen, jeder schlug zu. Er duckte sich, sie schlugen nach unten. Er lief zurück, sie schlugen auf seine Brust. Als er draußen war, zeigte der Offizier auf den Galgen und jagte ihn ins Spalier zurück. Sie schlugen ihn erneut. Er brach zusammen. Er merkte, dass das Tier in ihm Angst vor Schmerzen hatte, denen er nicht ausweichen konnte, und wurde ein braver Soldat.

Der Soldat musste in den Krieg, er musste schießen, er wollte vorbei schießen, aber er traf. Der Mann in der Uniform des Feindes lag und röchelte. Der Soldat nahm sein Gewehr und schoss ihn tot. Ein Soldat sagte: ′Wenn er nicht mehr kämp­fen kann, ist er ein Gefangener. Wenn du ihn tötest, ist das Mord. Nur Tieren gibt man den Gnadenschuss. Ich werde dich aber nicht verraten.′ Der Soldat hatte nun einen Freund und wollte zufrieden sein. Sie kämpften im Krieg Schulter an Schulter, Rücken an Rücken, wenn Frieden war, lagen sie tagsüber im Schlamm, gingen abends saufen und sahen sich Huren an. ′Wir sind wie Brüder′, sagten sie.

Den Freund traf eine Kugel, ′Gib mir den Gnadenschuss!′ sagte er. Bevor sein Freund das Gewehr durchgeladen, gezielt hatte, war er tot. Der Freund musste kein Mörder werden, er war einen kurzen Moment lang zufrieden. Er weinte, aß nichts. Der General sagte zu ihm: ′Du bist alt geworden. Hier hast du Münzen! Versaufe sie nicht! Sie müssen bis zu deinem Lebensende reichen.′
′Wo soll ich die Stiefel hinbringen?′
′Du kannst sie behalten.′
Er stapfte in ihnen zu seiner Mutter zurück.

′Wie schwer dein Schritt geworden ist′, sagte seine Mutter.
Die Mutter sah stolz auf ihre Kinder. ′Wir haben gearbeitet, nun wollen wir essen!′ sagte sie und lächelte glückselig wie ein Engel. Die Jungen nickten, setzten sich an den Tisch und sagten: ′Das Essen schmeckt himmlisch.′ Es gab Kraut mit Schweineschwarte. Danach Pudding." "Es regnet. Aber du erzählst traurige Geschichten", sagte Madam zu dem Stiefel.
"Ich habe Kleinigkeiten vergessen. Ich sehe alt und verludert aus, aber wenn du die Schnüre öffnest, kannst du unter dem alten Le­der auf der Lasche ein Stück schönes Leder sehen. Ist es noch schön?"

"Ja." "Der Junge, der die Frau von dem reichen Mann geworden war, hatte sich getröstet, dass er als Schauspieler arbeitet, aber in Ge­gensatz zu diesen nicht im Stroh schlafen, aus Pappbechern trinken muss, er lag auf Seide, und die Gläser, aus denen er trank, leuchteten wie Edelsteine. Der Junge, der beim Bauern arbeitete, hatte Bauer werden wollen. Wenn das Getreide keimte, die Ähren prall wurden, stand er glückselig. Der Junge, Soldat werden musste, fühlte sich in der Uniform eingesperrt, aber die Huren trugen auch Schminke auf der Haut. Eine sagte: ′Ich will von dir kein Geld, weil du mein Mann bist′, in ihrem Zimmer durfte er nackt sein."
"Ich bin allein", sagte Madam.
"Warum belügst du dich?" fragte der Schuh, "Du hast zwei Schuhe! Ihr geht. Ich bleibe allein."
"Ich könnte dich als Handtasche mitnehmen", sagte Madam, "Die Leute würden sagen, dass ich verrückt geworden bin."...

Als Madam durch die Sandwüste lief, zurück sah, erschrak sie, ′Ich lebe auf kleinem Fuß′, dachte sie. Als sie durch Kanadas Wälder lief, den Tatzenabdruck eines Bären sah, dachte sie, dass es ein kleiner Bär sein muss, der ihre Schuhgröße hat. Im Tierpark sah sie, dass ein Bär, dessen Tatzen so lang wie ihre Schuhe waren, riesig gewesen sein muss.

....Madam lief durch die Berge. Sie sah eine Pferdeherde, hatte Mitleid und löste dem Leithengst die Fesseln. Sie fand einen Felsüberhang, unter ihm war es trocken, sie war durchnässt, ihr wurde kalt, heiß, sie fror und schwitzte gleichzeitig, sie war krank. Sie zog die Schuhe aus, die Füße unter den Rock und wartete. In ihrem Körper führten Viren Krieg. Eines morgens herrschte Frieden, sie griff nach ihren Schuhen, zog sie an, kreischte, die Zehennä­gel waren lang geworden. Sie versuchte, sie abzubrechen, Haut und Fleisch um den Zehennagel wurden wund. Sie versuchte, barfuß zu gehen. Die Steine waren spitz, sie kam nicht voran. ′Ich komme von hier nie wieder weg′, dachte sie und brach zusammen. Ein Pferd weckte sie. Es trug keine Sattel, sie versuchte, aufzusitzen, rutschte ab, "Ich bin zu schwach."
Sie sah, dass das Pferd eine Stute war und tropfte. Sie trank Stutenmilch. Das Pferd blieb bei ihr, bis sie sich stark getrunken hatte, hoch schwingen und festhalten konnte. Es lief in eine Schlucht, scheute, Madam stürzte, das Pferd rannte weg.
"Hier sind ja Ratten!" sagte Madam entsetzt.
Die Ratten beschnupperten sie und machten sich an die Ar­beit. Sie markierten sie mit Rattenduft, leckten ihr die Ohren und das Bauchknöpfchen aus, öffneten ihr den Mund, leck­ten die Zähne ab, griffen nach ihren Fingern und Zehen, säuberten ihr die Finger- und Fußnägel und knabberten. Madam ließ es ge­schehen, sie war sich sicher, dass sie träumte. Sie wachte nicht auf. Sie griff vorsichtig nach ihren Schuhen, zog sie an, sie passten wieder, sie stand auf, die Ratten lie­fen davon.

Nur Rattenkacke, der Kalender, die kurzen Fußnägel waren Zeugen, dass die Geschichte wahr war...

"Nimm uns mit", sagten die Tanzschuh, "Wir sind ein wenig löchrig, aber du kannst das zur Mode erklären. Es ist ein Trugschluss, dass wenn man alt geworden ist, weniger taugt. Die Löcher im Leder bewirken Durchlüftung. Zieh uns an und gehe mit uns tanzen..."

Madam stolpert über eine Leiche ohne Beine. Sie denkt: ′Die wird sich jemand abgeschnitten und angenäht haben, damit er vier Schuhe tragen kann.′

 

 

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