TEXTLANDSCHAFT      Worte

 

Knasttrivial/Das Arbeitshaus

Ein Berater des Bundeskanzlers sagte in einem Interview: „Wir werden gezwungen von den Armen zu nehmen und den Reichen zu geben, weil die Reichen weggehn könnten, die Armen nicht.“ Geld wird in der Welt fast überall akzeptiert, Möglichkeiten zu arbeiten und sich den Lebensunterhalt zu verdienen, sind überall weitgehend eingeschränkt. Die Marktwirtschaft agierte sozialorientiert, bis Abwehrsysteme gegen „Sozialneid“ technisch perfektionierter wurden, die Reichen lassen sich asozial werden. Die Armen werden ghettoisiert und müssen sich, um zu überleben, wenn sie nicht kriminell werden wollen, Ersatzmöglichkeiten zu leben, finden. Ghettos können abgesperrt werden.

Eine junge Frau will sich mit Arbeit den Lebensunterhalt verdienen, sie will Mann, Kinder, ein ´normales Leben´ führen - können. Ihre Ur-Ur... Eltern lebten als Insassen eines Arbeitshauses. Wirtschaftspolitiker befördern die Spaltung der Gesellschaft, in der Hoffnung, eine Konzentration auf Forschung und Hightec könnte ihren Tod verhindern helfen. Die Arbeitslosen konzentrieren sich infolge der Verarmung in Ghettos. Die von der Wirtschaft entwickelten Roboter agieren gegen Sauerstoff in der Luft, um Korression zu verhindern. Die Stimmung am Biertisch wirkt explosiv.

Dramen sind Gesprächsbeiträge, die von Regisseuren verschieden interpretiert werden können.

ines eck

Das Theater als moralische Anstalt.

Buh! Bäh! Pst!

Schauspielerzahl: 5/mehr

1. Szene:
Zeit: Gegenwart
Ort: Gourmetrestaurant
Personen:
Junge Frau/lächelnd,charmant
Arzt/lächelnd, charmant
Kellner
alter Mann
alte Frau

Vorschlag Bühnenbild: Tafeltisch

Junge Frau: „Die Tasten vom Klavier sind schwarz-weiß, Buchstaben auf dem Papier. Musiken und Texte sind verschieden, auch wenn sie schwarz-weiß aussehen. Als ich am Tag plötzlich schwarz-weiß sah, dachte ich, daß ich sterben muß. Ich hatte Ärztin werden wollen, sie sagten: ´Ärzte könnten Parteisekretäre auf dem Op-Tisch ermorden´, ich durfte nur Kulturwissenschaften studieren, ich tröstete mich, daß die Gesellschaft auch ein Patient ist. Sie wußten, daß der Patient Gesellschaft nicht zum Arzt geht; ich habe keinen Job. Ich ahnte nicht, daß es solche sozialen Unterschiede zwischen uns geben wird. Wir wollten beide Arzt werden. Wir waren uns so ähnlich, daß wir einander nicht heiraten wollten.“

Arzt: „Ich bin verschuldet.“

Junge Frau: „Das Haus, die Autos.“

Arzt: „Ich kann die Praxis nicht für ein Jahr verlassen. Nach einer Woche ist Chaos. Ich war in der letzten Woche eine Woche in Italien. Ich fahre nächste Woche für eine Woche nach London. Ihr wart ein Jahr unterwegs. Ich nicht.“

Junge Frau: „Sozialneid der Reichen. Wenn das Bachwasser eiskalt ist, zieht sich die Haut zusammen, stößt Dreck ab. Die Zeiteinteilung war: ´Wieviel Trinkwasser haben wir noch?´ In einem Becken schwammen rote Würmer, an einem Brunnen standen Stiere, sie senkten die Hörner. Wir haben nicht loslassen können - Wir hörten jeden Abend Deutsche Welle, in der Hoffnung, daß wir zurückwollen.“

Kellner: „Welches Menü?“

Junge Fau sieht in die Karte.

Junge Frau: „Soviel kann ich nicht essen. Ich will nur das Hauptgericht.“

Arzt: „Ich finde keine Putzfrau. Hinter der Grenze war das Benzin billiger, der Angestellte der Tankstelle putzte die Autoscheiben. Hier ist das Benzin teurer, damit ich die Scheiben selbst putzen kann. Verstehst du das? Ein Schuhputzer könnte sich mit Schuhputzen das Geld für den Zahnarzt verdienen. Ich verstehe nicht, warum ich keine Putzfrau finden kann, während es Millionen Arbeitslose gibt.“

Junge Frau: „Hast du einen Job für mich?“

Kellner zur jungen Frau: „Darf ich Ihnen trotzdem eine Vorspeise anbieten?“

Kellner hebt die Glocke.

Junge Frau sieht auf etwas Kleines.

Junge Frau: „Das ist wie im Film.“

Arzt: „Du bist nicht frei, weil du kein Geld hast, ich, weil ich es verdienen muß. Wir sitzen im gleichen Boot.“

Junge Frau: „Ich arbeite wie du. Wenn ich etwas veröffentliche, wird es benutzt, nicht bezahlt. Wenn ich erzähle, daß ich beständig unbezahlt arbeite, sehen mich die Menschen an wie einen Idioten. Aber ich habe keine Wahl. Du hast keine Webseite. Gibt du mir den Job?“

Arzt: „Ich habe mehr Patienten, als die Kasse bezahlen will. Ich brauche keine Webseite. Du hattest gesagt, daß wir eine Person sind, die zwei verschiedene Leben leben.“

Junge Frau: „Ein Künstler braucht Sozialerfahrungen. Aber ich durchlebe die Situation eines Jobsuchenden nicht im Auftrag einer Galerie oder eines Verlages. ´Lieber frei wie ein Vogel zu fliegen, als im goldenen Käfig zu sein.´ Wo ist Freiheit? - wenn ich in der Hoffnung auf einen Job unbezahlt arbeite. Irgendwann werden die Armen käuflich. Das Honorar für einen Auftragsmord scheint viel Geld, wenn man verschuldet ist.“

Kellner: „Ich bringe die Quittung fürs Finanzamt.“

Junge Frau: „Das war ein Arbeitsgespräch? Du hast Recht. Wir haben von nichts anderem gesprochen.“

Arzt: „Bist du satt?“

Junge Frau: „Ich habe genug getrunken. Sogar das Klo war köstlich. Sie nennen Jammern, was wir Protest nennen. Werden wir aufeinander schießen?“

Arzt: „Es ist für mich erstaunlich, daß du und ich noch immer keine verschiedenen Sprachen sprechen. Wir können uns verständigen.“ Arzt schiebt ihr Geld zu. „Ich schulde dir Geld. Ich habe soviel zu tun, daß ich von anderen Lebensverhältnissen nichts wüßte, wenn wir uns nicht ab und zu treffen würden. Du gehörst für mich zu den bedeutendsten -“

Junge Frau: „Ich danke dir für die Erfahrung, daß ein Menü aus zehn Gängen mich nicht sattgemacht hätte, wenn ich nicht alles Brot, das beigelegt war, aufgegessen hätte. Ich hätte sie ohne dich nicht machen können.“

Junge Frau streckt ihm die Zunge raus, „Irgendwann werden sie sagen, daß Domina zu sein und Politiker und Wirtschaftsbosse auf ihren Wunsch hin auszupeitschen, ein zumutbarer Job ist. Ich müßte zuschlagen, obwohl ich sie damit befähigen würde, ihre Politik fortzusetzen. Die Regierung ließ sich von einer Organisation beraten, die im Sektenbuch der Kirche beschuldigt wurde, menschenfeindlich zu sein. Ich habe den Film über Hitlers Aufstieg gesehn. Man konnte nichts dagegen tun. Ich bin ein schwacher Gegenspieler, ich wollte Arzt werden wie du. Ich schreibe Bittbriefe an Politiker; ich bitte sie um eine steuerliche Begünstigung von Teilzeitarbeit. Das Essen war gut. Wo ist Afrika?“

Ein Wand saust herunter, zerteilt den Tisch. Es wird dunkel.

Junge Frau: „Großmutter?“

2. und 3. Szene könnten parallel inszeniert werden.

2. Szene:
Rückblende
Situation des Ur“ur...“großvaters
Zeit: Anfang 20. Jahrhundert
Ort: Arbeitshaus. Männerabteilung
Personen:
Gefangener 1
Gefangener 2
Gefangener 3/Urur...großvater der jungen Frau
Aufseher
Stimme der Urur...enkelin/jungen Frau
Stimme des Gefängnisdirektors

Vorschlag Bühnenbild: Arbeitstisch

Gefangener 2: „Ich habe mir das anhören müssen, daß ich Bohnen in den Ohren habe und dumm wie Bohnenstroh bin. Ich will keine Bohnen, ich will Fleisch.“

Gefangener 1: „Sie suchen für die Küche einen Schlächter.“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Ich könnte das nicht - schlachten.“

Gefangener 2: „Ich könnte mich auch in einen Kohlkopf einfühlen und - verhungern.“

Stimme der jungen Frau: „Der Gefängnisdirektor ließ eine Waage reinschaffen und bewieß Zeitungsleuten, daß die Menschen mit Mehlsuppe und fetten Fleischstücken, die es zweimal in der Woche gibt, nicht dünner werden.“

Stimme des Gefängnisdirektors: „Sie haben nicht abgenommen, sie haben zugenommen!“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Sie hatten Angst, daß wir vor den Zeitungsleuten abgemagert aussehn.“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Ich wollte um keine Genehmigung betteln, um auf der Straße Musik machen zu dürfen. Ich wurde zum Bettler erklärt und eingesperrt.“

Gefangener 3/Urgroßvater spannt sein Taschentuch über den Kamm, bläst.

Gefangener 2: „Er kriegt Läuseeier in den Mund.“

Schüsse.

Gefangener 2: „Hörst du - „

Gefangener 1: „Das ist für die Jagd.“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Das ist das, wenn sie uns jagen.“

Gefangener 2: „Es ist immer Angst vor dem Feuer und daß man nicht rauskann, weil das Tor zu ist, Gitter vor den Fenstern.“

Aufseher: „Man sollte euch tot machen mit Arbeit. Dann hat man die Produkte und euch tot.“

Gefangener 1: „Unsere Seelen sind drin. Das ist das Verfluchte, wenn du das kaufst, weil es billig ist.“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Einer schlug einen Splitter ab, steckte ihn sich ins Blut, ´Niemand kann mich hier behalten.´ Sie verkaufen die Leichen. Sie dürfen das nicht, wenn man es ihnen ausdrücklich erklärt, daß man nicht in den Anatomiesaal will. Du sagst: ´Ich will als Leiche korrekt in ein Grab.´ Der Aufseher: ´Ich habe es gehört.´ Aber er vergißt es. Sie schneiden dir ins tote Fleisch.“

Gefangener 2: „Fleisch.“

Gefangener 1: „Wenn die mir Geld vom Geld für die Leiche abgeben, sagen, ich soll anderes sagen, bist du vor mir nicht sicher. Man muß leben. Du bist dann tot, so oder so.“

Gefangener 2: „Fleisch.“

Gefangener 1: „Das hier war ein Kloster.“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Es ist ein Arbeitshaus. Es gibt keine Prügelstrafe. Ich mußte gestern nur barfuß und mit einfachen Hosen in die Zelle, in der Dreikanthölzer mit der Spitze nach oben ausgelegt waren.“

Aufseher: „Niemand tut dir hier weh. Wenn du dir nicht selbst weh tust. Du mußtest niemandem Brot zustecken, der hungern soll, weil er bestraft sein muß.“

Gefangener 1: „Wie soll man sich über den Aufseher beschweren, wennn man sich nur beim Aufseher beschweren darf?“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Keine Möglichkeit?“

Gefangener 1: „Was?“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Draußen zu bleiben.“

Gefangener 1: „Besoffen.“

Gefangener 2: „Müde.“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Besoffen.“

Gefangener 2: „Ich kann nicht ohne Alkohol schlafen. Jesus war barfuß, aber er hatte Wein.“

Gefangener3: „Bis man ihn ans Kreuz nagelte, damit er nicht abhauen und saufen kann. Du kannst Brot kauen, bis es süß wird, ausspucken, gären lassen.“

Gefangener 2: „Oh!“

Gefangener 1 ohrfeigt Gefangenen 2: „´Halt’s Maul, Idiot. Säufer läßt man hier nie wieder raus.“

Aufseher: „Man darf die nicht rauslassen, sie lassen sich kurz später herbringen, statt sich in der Freiheit zu erhängen, um in einer Umgebung mit Vogelzwitschern tot geworden zu sein; ich hatte umsonst die bürokratische Arbeit. Der Anstaltsarzt, der einmal in zwei Wochen kommt, verdient in den Stunden mehr als ich für die ganze seelische Zerstörung im Monat. Ich muß im Knast sein wie ihr. Wenn ich abhaue, werde ich als Landstreicher in ein Arbeitshaus gebracht. Man muß euch quälen, damit ihr Angst habt, wiederzukommen, und das den anderen sagt.“

Der Aufseher nimmt Gefangenen Bilder weg.

Gefangener 1: „Die machen doch aber die Sehnsucht, daß man rauswill.“

Aufseher: „Wenn ihr draußen seid, habe ich keinen Job. Du willst schreiben?“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Ja.“

Aufseher: „Wem?“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Meiner Frau.“

Aufseher: „Wem?“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Meiner Frau.“

Aufseher: „Du hast keine. Sie ist Hure, du bist ein Zuhälter. Das darf nicht -“

Aufseher bückt sich.

Aufseher: „Was ist das?“

Gefangener 1: „Ich habe das geschrieben.“

Aufseher: „´Liebster Romeo, ich suche nach Wolken am Himmel, damit meine Blicke an ihnen zurückgeworfen werden und zu dir kommen können. Ich liebe dich. Julia.´?“

Gefangener 1: „Er hat sich gefreut.“

Aufseher: „Du hast das geschrieben?“

Gefangener 1: „Ja.“

Aufseher: „Schreib´ es ab!“

Gefangener 1: „Ich habe es geschrieben.“

Aufseher: „Dann schreibe es ab!“

Gefangner 1: „Meine Hand ist - „

Aufseher schlägt auf die Hand des Gefangenen.

Aufseher: „Du hast Recht. Sie ist steif. Wie habt ihr die Post durch die Mauer gekriegt?“

Gefangener 3/Urgroßvater: „Man hat nichts als Waffe, als daß man die, die nicht helfen, und ihre Sippschaft verflucht.“

Gefangener 1: „Wenn du ihnen zuviel Angst machst, machen sie dich tot.“

3. Szene:
Rückblende
Situation der Ur“ur...“großmutter
Zeit: Anfang 20. Jahrhundert
Ort: Arbeitshaus. Frauenabteilung
Personen: 4 Gefangene, 1 Aufseherin.

Vorschlag Bühnenbild: Arbeitsstisch

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Das macht wahnsinnig, wenn man nicht rauskann; ich will einen Baum sehen.“

Aufseherin: „Aufhängen kannst du dich hier.“

Arbeitshausinsassin 2: „Ich will Knospen sehen.“

Arbeitshausinsassin 1: „Wir sind ihr zu alt.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Die Aufseher hassen mich, weil wir uns von ihnen nicht anfassen lassen, die Aufseherinnen, weil sich kein Mann für sie interessiert. Wenn sie in die Stadt gehen, schieben sie sich Kissen unter die Bluse, damit der Schreiner nicht denkt, ihm sei ein Brett entlaufen. Meiner Großmutter haben sie ein Zeichen in die Haut gebrannt. Wenn sie uns irgendwann ausrotten wollen, haben sie die Listen, weil wir in die Kontrolle gegangen sind.“

Arbeitshausinsassin 1: „Wenn du nicht in die Kontrolle gehst, bist du beständig im Knast. Warum läßt du die Wunde nicht ausheilen?“

Arbeitshausinsassin 2: „Ich könnte kurz später entlassen werden. Mein Mann ist weggelaufen wegen dem Ekel. Ich hatte gesagt, daß das sein muß. Also muß es sein.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Du lockst Fliegen an.“

Arbeitshausinsassin 2: „Ich schlafe in der Ecke.“

Arbeitshausinsassin 4: „Du lockst Fliegen an. Ich habe Wunden mit Schminke gezeigt.“

Arbeitshausinsassin 2: „Ich hasse die, die das mit dem Betteln nicht tun mußten, nur aus Protest gegen ihren reichen Herrn Vater demonstrierten. Wenn ich bettele, gebe ich den andern, Gutes zu tun. Jesus hat das genutzt und ist mächtig geworden. Ich schrieb auf ein Schild - ´Ich bete für euch, gebt mir Geld für Brot.´ Sie sagten: ´Fürs Beten gibt es keine Gewerbeerlaubnis.´ ´Wieso? Die Ammen werden auch entlohnt. Die Kirche zieht das Geld vom Lohn der Arbeiter ein. Ich habe gesehn, der Pfarrer hat nach der Predigt noch zusätzlich Geld mit einem Korb sammeln lassen.´ Sie verkaufen die Angst vor dem Fegefeuer.“

Arbeitshausinsassin 1: „Es ist kalt.“

Arbeitshausinsassin 4/Urgroßmutter: „Wer betteln muß, ist ein Kind. Er braucht einen Vormund. Sie werden Gesetze erlassen, damit sie uns ausrotten können. Ich habe den Arzt gehört, er hat gesagt, daß das erbkrank ist, wenn man kein Zootier sein will.“

Arbeitshausinsassin 2: „Die Fingernägel sind die einzigen Waffen, die sie uns lassen.“

Arbeitsinsassin 3/Urgroßmutter: „Sie haben mich keinen Kamm mitnehmen lassen. Als könnte ich mir den Kopf oder Gitter aufsägen. Schenkt mir einen Kamm, dann erzähle ich euch etwas.“

Arbeitshausinsassin 2: „Ich schenke dir die Hälfte von meiner Kleiderbürste.“

Arbeitsinsassin 3/Urgroßmutter: „Also gut. Ein Mann wollte in mich, er hat es durchs Ohr probiert, da war die Wand; die war dick geworden, weil meine Mutter mir oft ins Ohr geschrien hat. Er versuchte es durch die Nase, ich mußte unfreiwillig nießen. Er stieg die Ringe von der Speiseröhre nach unten; er war wütend, weil ich kotzen mußte. Er hat es von unten probiert, er sagte, das ist ein Abenteuer, das er im Leben haben kann, weil er es nicht mit Geld bezahlen muß, ob er das schafft, ohne vom Kneten der Gedärme zerdrückt zu werden, der Brei, durch den er mußte, war ihm kurz später zu stinkend. Er wollte durch das andere Loch, ‘In dem kann ich zur Not mal die Zunge rausstrecken’, weil es nach Milchsäure schmeckt, es hat mich gekitzelt und einen Sog in mir gemacht, daß er, offenbar an die Innenwand vom Bauch gerissen, ohnmächtig wurde. Als er rausgespült war, wusch ich ihn, er lag blutverkrustet, es war sein eigenes. Er ist mit einer Spritze in mich eingestiegen, es war ein Schlafmittel drin, als ich aufwachte, tat es im Herzen weh, er war in meinem Blut durchgeflossen, ohne die Fußnägel geschnitten zu haben. Er sitzt jetzt in meinem Auge, und weil wir vor Gott verheiratet sind, stelle ich mir den Ehekrach vor, den er machen wird, wenn er genug gesehen hat und mich verlassen will.“

Die Frauen sehen neugierig zu den Fenstern der Männer.

Arbeitsinsassin 3/Urgroßmutter: „Hier muß ich die Weiber lieben!“

Aufseherin: „Ruhe!“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Sie müssen nicht hinhören! Sie hören hin. Wir sind für sie Theaterersatz. Es geht ihnen nicht um Moral, sie sind nur gegen die Kinder, die wir ihnen bringen. Sie müßten für sie zahlen.“

Arbeitshausinsassin 1: „Es gab nur eine Zeit, wo unsereins gut verdienen konnte und moralisch leben. Peng! Dann lagen die Menschen tot. Und man brauchte keine Munition mehr.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Wir könnten einander denunzieren. Wir könnten würfeln, wer wen denunziert. Die, die gewinnt, kriegt Hafterleichterungen. Die verliert, muß leiden. Jeder von uns könnte Glück haben. Ich habe mir zu jedem Mann einen Film ausgedacht, die Häßlichen sind die Verwunschenen, ´Die muß ich erlösen.´ Ich bin keine Hure, ich habe das alles nur gespielt. Im Kloster hatte ich von den Mädchen gelernt, wie das bei einer Frau zwischen den Beinen getan werden muß, damit es schön für sie ist; aber ich habe es den Männern nicht sagen können, weil es schlecht fürs Geschäft ist.“

Arbeitshausinsassin 4: „Sie haben die Krankenhausrechnung an meine Mutter geschickt, weil ich sie nicht gleich bezahlen konnte. Die sind katholisch, man kann nicht zurück; der Pfarrer will den Gehorsam, Barmherzigkeit zerstört Gehorsam. Er hat nie gesagt, daß man barmherzig sein soll.“

Arbeitshausinsassin 2: „Krankheit, Knast; ich will raus.“

Arbeitshausinsassin 1: „Jesus hat gelitten.“

Arbeitshausinsassin 4: „Als er festgestellt hatte, daß ich gesund war, sagte der Arzt, daß er mich liebe. Ich wollte ein Mann sein, zuschlagen - können. Es ist schwer einen Mann, während er schläft, nicht das Geld wegzunehmen, das ihn zum Herrn macht.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Die Männer werden aggressiv, wenn sie Samen nicht abspritzen können, es schmerzt ihnen bei jedem Schritt. Die Ratten fressen den Unrat, es macht die Gesellschaft sauber. Sie nennen das Ungeziefer und wollen uns vergasen.“

Arbeitshausinsassin 1: „Wenn Prostitution ein legaler Beruf wäre, hätte das Haus hier einen Puffeingang. Wir kämen nie raus.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Es fehlt Plüsch. Ich war gern in der Kirche, weil das wie ein Schloß ist, in dem man sitzen darf. Ich habe dafür ins Katholische gewechselt. Das Beichten lohnt noch nicht, ich kenne keinen, der gleich tot war und das nicht noch tun konnte, um in den Himmel kommen zu können. Ich weiß nicht, ob mir der Himmel zu grau ist. Falls ich nicht beichte, muß ich nicht rein. Das ist die Freiheit, die man uns läßt.“

Arbeitshausinsassin 1 zeigt ein Fläschel.

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Was ist das?´“

Arbeitshausinsassin 1: „Der Samen von deinem Mann.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Was?“

Arbeitshausinsassin 1: „Er ist frisch vom Schuster. Er hat ihn gebracht. Ich habe den Finger reingetaucht und mir das Loch ausgestrichen und mit den Fingern ein Saugen in mich gemacht. Falls Gott es will, habe ich Glück. Der Rest ist für dich.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter schlägt zu, das Fläschel fällt zur Erde: „Woher weißt du, von wem das ist?“

Arbeitshausinsassin 4: „Heute ist Vollmond.“

Sie deckt die Gitter vor dem Fenster mit Tüchern zu, bis nur ein Kreuz bleibt. Arbeitshausinsassin 1 greift nach dem Fläschel und der Arbeitshausinsassin 3 zwischen die Beine, die wehrt sich kaum.

Arbeitshausinsassin 1: „Darf ich? Ich will, daß du auch ein Kind kriegst. Dann haben wir zwei.“

Arbeitshausinsassin 3: „Sind wir verrückt?“

Arbeitshausinsassin 4 kriegt Wehen, schreit.

Arbeitshausinsassin 1: „Hölle. Das ist die Hölle.“

Arbeitshausinsassin 2: „Ich dachte, sie ist nur fett.“

Geburt eines Kindes.

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Nun hast du einen Riß.“

Arbeitshausinsassin 1: „Halt’s Maul.“

Arbeitshausinsassin 2: „Wir können es nicht verstecken.“

Aufseherin: „Was ist los?“

Arbeitshausinsassin 2: „Vor dem Fenster sind Katzen. Sie kreischen wie Kinder. Man muß sie totschlagen.“

Aufseherin: „Sie jagen die Ratten.“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Sie jagen die Vögel.“

Aufseherin sieht das Kind: „Was ist das?“

Arbeitshausinsassin 3/Urgroßmutter: „Jesus? Sie ist seit elf Monaten im Knast. Sie ist Maria. Wir sind drei Könige. Du bist das Vieh.“

Arbeitshausinsassin 4: „Es ist mein Kind.“

Aufseherin: „So lange, wie es gestillt werden muß.“

Arbeitshausinsassin 3: „Laß es an der Brust, bis es ein Mann ist!“

4. Szene:
Zeit: Vergangenheit/Gegenwart
Ort: Fantasieraum
Personen: Prediger, Wirtschaftsminister, Gattin, Obdachlose

Vorschlag Bühnenbild: Übergroßer Tisch. Unter ihm Obdachlose.

Prediger: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Der Mensch ist fähig, Techniken zu entwickeln, die ein Paradies auf Erden ermöglichen. In nur kurzer Zeit wird jeder Mensch nur noch wenige Stunden am Tag arbeiten müssen, um die Existenz aller Menschen absichern zu können. In der Restzeit werden wir selbstbestimmt leben können. Es werden glückliche Zeiten sein.“

Obdachlose lehnt sich an den Bierbauch eines Obdachlosen. Sie reicht ihm ein Bier, „Es hält den Bauch weich. Sie haben mir alles rausoperiert, weil das billiger war.“

Obdachlose sammelt Flaschen in eine Tüte, „Ich brauche viel Geld, damit ich ein Kind adoptieren kann.“

Wirtschaftsminister: „Sie können Menschen aus einem Haar klonen.“

Frau des Wirtschaftsministers: „Ich weiß nicht, ob das Erbgut geschädigt ist, wenn man blondiert ist.“

Wirtschaftsminister: „Meine Cousine sah plötzlich wie ein Mädchen aus. Sie hatte nichts zu verlieren. Sie erhielt Spritzen und wurde jung und schön.“

Frau des Wirtschaftsministers: „Für ein paar Tage. Kann man mit Silikon Kinder stillen?“

Wirtschaftsminister: „Wir brauchen Hightechtechnologien. Wir werden keine Kinder brauchen, wenn wir nicht sterben - müssen.“

5. Szene:
Zeit: Gegenwart
Ort: Wohnung. Die Fenster sind mit Blumenmotiven transparent zugemalt
Personen: Junge Frau und junger Mann
Junger Mann sitzt an Computer an Suchmaschinen.

Vorschlag Bühnenbild: Computertisch

Junge Frau: „Und sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich sehr und sie wissen nicht, mit wem sie reden. Aber eines Tages wird ein Geschrei sein im Hafen -. Ich verstehe nicht, was die Menschen reden. Es gibt kein Schweinefleisch. Im Urlaub hatte das ein Ende. Wir zogen dorthin, wo ich mich wie eine Hure fühlen muß. Sie sagen, die Deutschen stinken, hier wohnten Arbeiter, sie stinken nach Alkohol und kaltem Rauch. Wir gehen nicht ins Theater, Kino, Museum, Restaurant. Wir sehen auf die Straße, sobald sich jemand streitet. Wir müssen hoffen, daß sie sich streiten, weil das unser Theater ist. Die Kunst sind die zertretenen Scheißhaufen und der Müll. Der Wald sind die Blumentöpfe, zwischen die wir uns auf den Fußboden setzen. Sie haben unser Auto geklaut. Die Polizei sagt: ´Das ist so, wenn man hier wohnt.´ Wir können den Polizisten nicht vorwerfen, daß sie von Steuergeldern bezahlt sind, wir zahlen keine Steuern. Wir können nicht abhauen. Der Arbeitsvermittler sagte, daß ich mich auch an Bratwurstständen um Jobs bewerben muß. Ich stellte mich an und sagte: ´Ich will keine Wurst, ich will einen Job.´ Wir müßten ein Auto klauen, um abhauen zu können. Wenn die Gewalt losbricht, riegeln sie uns ab. Sie haben überall Kameras angebracht. Aber - den Autodieb haben sie nicht gesehn. Ich will ein Vogel sein und weg.“

Junge Frau öffnet das Fenster, hinter dem Grau ist, springt.

Junger Mann: „Nun bist du noch verkrüppelt.“

Junge Frau zieht sich übers Fensterbrett nach oben.

Junge Frau: „Es wäre schöner im Rot vom Blut zu leben als in diesem Grau. Ich habe ein Engelchen gemacht.“

Sie greift zwischen die Beine, hält ein Embryo an einer Nabelschnur in der Hand.

Junger Mann: „Stopf es zurück, vielleicht hat es eine Chance.“

Junge Frau: „Wir können noch viele Engelchen machen und unser Erbgut im Paradies verteilen. Paradies erinnert an Paraden: Die Menschen werden verpuppt, aufgezogen und marschieren. Wenn wir dann tot sind, suchen wir im Paradies die Engel mit unserem Erbgut und machen mit ihnen einen Putsch.“

Junger Mann: „Sie werden dich in der Hölle schmoren lassen, bis du dich haßt, weil du dich in die Hölle gebracht hast. Ich hole uns hier raus!“

Junge Frau: „Wohin? Wir haben da und dort nach Arbeit gefragt. Wir hatten uns gesagt, daß Geld auf dem Konto sein muß, damit wir die Strafe bezahlen können, wenn wir am Meer oder im Wald schlafen. Das Konto ist leer. Menschen sagten, ich hätte ihnen mit meinen Reden das Leben gerettet. Ich darf keine Rechnungen schreiben und die Bezahlung einklagen, weil kein Vertrag war.“

Das Telefon klingelt.

Junge Frau hebt ab: „Hallo?“

Lauschen.

Junge Frau: „Ich kann dir nicht helfen.“

Sie legt den Hörer auf.

Junger Mann: „Was war das?“

Junge Frau: „Mein Bruder will sich töten, wenn er keinen Job kriegt, er will Gift in die Trinkwasserkanäle der Stadt schütten.“

Junger Mann: „Als ich ein U-Boot heben wollte, um ein Stück Land für uns zu haben, fiel es unter das Waffengesetz. Ich könnte, falls wir Geld hätten, einen Ganzkörperanzug entwickeln, der den Energie- und Wasserverbrauch senkt. Wenn wir Geld hätten, bräuchten wir das nicht.“

Junge Frau: „Seekrank. Platzangst. Plaste auf der Haut. Ich würde das verstehen, daß wir scheitern müssen, wenn Gott ein Spieler ist, der Erfahrungen sammeln muß, damit er das Spiel verbessern kann.“

Junger Mann: „Wir könnten das glauben.“

6. Szene:
Zeit: Zukunft
Ort: Lagerhaus
Personen: Arzt, Journalistin/Arbeitsroboter, Menschen.

Vorschlag Bühnenbild: kaputte Tische.

Menschen/Puppen liegen in Regalen mit Schläuchen in den Nasen und Schläuchen zwischen den Beinen, Kopfhörern, Brillen, Drähten am Kopf.

Arzt zur Journalistin: „Niemand tut ihnen weh. Wenn sie gebraucht werden, wecken wir sie auf. Sie verbrauchen nur wenig Sauerstoff.“

Journalistin mit Roboterstimme: „Sauerstoff ist aggressiv.“ Journalist öffnet Klappen an seinem Bauch und holt ein Roboterkind heraus. „Es ist schön, nicht wahr? Es soll ungefährdet leben und glücklich sein können. Sauerstoff ist aggressiv.“

Journalistin ab.

Arzt zieht junge Frau aus dem Regal und versucht sie zu wecken, „Du mußt aufwachen, hörst du?“

 

 


©: Impressum